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Darling

Darling

Titel: Darling
Autoren: Hanna Hartmann
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vorn.
    „Belauschen Sie immer Ihre Fahrgäste?“ Hart und unvermittelt herrschte sie ihn an.
    Adrian schüttelte verneinend den Kopf. Schamröte stieg in ihm auf. Warum, verdammt noch mal, warum hatten dieser Blick und diese Stimme so eine Macht über ihn?
    Monoton rauschten die Anund Abmeldungen der Taxikollegen durch den Äther. Sissi verteilte aus der Zentrale die spärlichen Aufträge dieser trüben Nacht. Irgendwie nervte Adrian die Monotonie ihrer Ansagen. Obwohl es von der Taxizentrale nicht gern gesehen war, drehte er den Lautstärkenregler herunter. Er wollte sich ganz auf die Stimme der Frau, die hinter ihm im Taxi saß, konzentrieren.
    „Wie wäre es mit Musik?“, fragte sie in die sich dehnende Gesprächspause hinein.
    „House?“, schlug er einsilbig vor.
    Doch sie antwortete nicht und kramte suchend in ihrer Handtasche. Dann hörte er ein metallisches Klimpern, so als ob Kleingeld aus einem Portemonnaie auf die Fußmatte gefallen wäre. Adrian registrierte flüchtig, wie die Frau suchend auf den Boden schaute. Dann richtete sie sich auf und blickte nervös aus dem Fenster auf die langsam durch die Nacht vorbeigleitende Stadt.

5
    Annika heulte, fluchte, trommelte mit den geballten Fäusten auf ihr Bett. Wie konnte sie nur so ungeschickt sein! Was war verdammt noch mal mit Adrian los? Seit Wochen, nein, seit Monaten immer nur Ausflüchte und Ausreden. Einmal waren es Termine mit Enzo, dann Besuche seiner Schwester. Beim nächsten Mal der Sport. Und immer wieder der Taxijob. Wenn sie mit ihm über ihre Beziehung reden wollte, flüchtete er. Am Anfang in Ausreden. In letzter Zeit zunehmend aus der gemeinsamen Wohnung. Oder er hing die halbe Nacht vor seinem PC und duellierte sich mit virtuellen Zufallsbekanntschaften irgendwo auf diesem Planeten in Ego-Shooter-Spielen.
    In ihren Augen war das eine planlose Vergeudung kostbarer Zeit. Wieder liefen ihr Tränen wie Sturzbäche über ihre Wangen. Morgen früh würde sie fürchterlich aussehen. Ihre Präsentation, auf die sie sich akribisch vorbereitet hatte, war im Eimer. In diesem Zustand würde sie beim besten Willen niemals Schlaf finden. Sie musste mit Adrian noch heute Nacht reden und sich irgendwie mit ihm versöhnen. Sonst würde sie verrückt werden. Ihr Handy lag noch immer auf ihrem Bett, wo sie es nach dem Wortgefecht wutentbrannt hingeworfen hatte. Keine SMS im Display. Adrian würde sich nicht entschuldigen, so gut kannte sie ihn. In ihr focht ihr Stolz unbarmherzig gegen ihr Reuegefühl.
    Die Sehnsucht nach Adrian siegte letztendlich über die Vernunft. Seufzend angelte sie nach ihrem Telefon. Seit ihrem Streit war kaum mehr als eine Viertelstunde vergangen. Mit fliegenden Fingern tippte sie die Wahlwiederholung. Sie hörte das Freizeichen, einmal, zweimal, dreimal. Doch nichts passierte.
    Auch nach dem zehnten Klingeln sprang die Mailbox nicht an. Adrian hatte, wie so oft, den Anrufbeantworter ausgeschaltet. Seine Mailbox abzuhören war ihm einfach zu lästig. Annika dagegen hatte permanent Angst, irgendetwas zu verpassen. Deshalb schaltete sie ihr Handy auch nachts nie aus.
    Am Anfang ihrer Beziehung hatte Adrian ihr einmal das rosa Samsung mit einem süffisanten Lächeln entwunden.
    „Sag mir, was fasziniert euch Frauen so wahnsinnig an dieser elektronischen Fußfessel? Warum seid ihr bereit, euch von dieser Technologie so versklaven zu lassen?“
    Annika hatte die Frage überrumpelt. Sie hatte sich ertappt gefühlt.
    Ratlos stand sie im Schlafzimmer. Wahrscheinlich war Adrian ja wirklich mit einem Fahrgast unterwegs und konnte deshalb nicht telefonieren. Wenn sie die ISDN-Kennung ihres Handys unterdrücken würde, könnte sie ihn vielleicht als „unbekannter Teilnehmer“ überrumpeln. Adrian hasste solche Manöver noch mehr als ihre „normalen“ Überraschungsanrufe. Aber es war wohl ihre letzte Gelegenheit, ihn heute Nacht noch einmal zu sprechen.
    „Gib ihm eine Chance und warte“, beschwichtigte sie ihre innere Stimme. Vielleicht ruft er ja doch noch an.

6
    „Was wollen Sie mitten in der Nacht im Niederräder Klärwerk?“ Er hatte den Satz noch nicht beendet, da spürte er die Peinlichkeit seiner Neugier.
    Während seines Geografiestudiums hatte er flüchtig mit der Anlage zu tun gehabt. 2003 hatte eine Gruppe von Studenten für Hanskarl Klunkermann ein Event-Projekt im Rahmen der Route der Industriekultur Rhein-Main entwickelt; für die konzeptionellen Vorarbeiten war damals mit dem Stadtentwässerungsamt eine Besichtigung
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