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Darling

Darling

Titel: Darling
Autoren: Hanna Hartmann
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die Tiefe führte. Schnell gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht. Als er die ersten Stufen hinabgestiegen war, registrierte er einen flackernden Fackelschein. Für einen Moment zögerte er. Doch das Lederbändchen mit den Silberringen und dem Engelsflügel in seiner Faust zog ihn Stufe um Stufe weiter nach unten.
    Als er die letzte Stufe erreicht hatte, hörte er sakrale Musik. Sie erinnerte ihn an die Szene im Film „Der Name der Rose“, in der die Mönche aus der Kirche in den Kreuzgang des Klosters strömten. Fackeln erleuchteten die Gänge zwischen den stillgelegten Sickergruben, deren brackig-braunes Wasser blau ausgeleuchtet war. Der Feuerschein der Fackeln zuckte in den Nischen und spiegelte sich auf dem Geländer zwischen den schmalen Gängen in den Kanälen.
    Am Ende des Gewölbes nahm Adrian ein merkwürdiges, blau beleuchtetes Konstrukt auf der langgestreckten Plattform wahr, die die vier Klärgruben durch einen breiten Steg miteinander verband. Der ungewöhnliche Aufbau erinnerte ihn an ein überdimensioniertes Aquarium. Wasser schwappte in dem riesigen Glaskasten, und er sah, dass sich darin etwas bewegte.
    Willkommen im Hades. Willkommen in der Unterwelt, dachte Adrian, und der Gedanke schnürte ihm für einen Moment die Kehle zu. Sein innerer Kompass signalisierte ihm, dass er sich mindestens fünfzehn Meter unter der Erde befand. Niemand würde ihn hier unten suchen, da war er sich absolut sicher.
    Dann hörte er ein plätscherndes Geräusch. Es klang wie der Wasserstrahl einer aufgedrehten Dusche. Und danach ein sehr eindringliches Stöhnen. Es klang merkwürdig nach Schmerz. Nach einer kurzen Pause folgte erneut das Stöhnen. Und dann wieder der Wasserstrahl.
    „Nein, nein, nein, so geht das nicht, du bist viel zu künstlich! Streng dich gefälligst an“, schallte wütend eine männliche Stimme durch die gespenstisch beleuchtete Szene.
    „Das Wasser ist zu kalt“, zürnte eine bebende Frauenstimme.
    „Patricia, es ist deine letzte Einstellung“, hörte Adrian eine zweite Frau sagen.
    Er erschauderte. Es war ihre Stimme. Vorsichtig beugte er sich aus dem Schatten der Säule, die ihn bislang verborgen hatte. Vor ihm lehnte ein weißer Rettungsring mit der Aufschrift „Stadtentwässerungsamt“ an der Mauer. Der Gedanke, dass die Frankfurter Verwaltung sogar hier unter der Erde für geordnete Bahnen im Falle von Gefahr vorgesorgt hatte, erschien Adrian ausgesprochen skurril. Zwanzig Meter vor ihm stand dieses überlebensgroße Aquarium, in dem eine nur mit einem heruntergezogenen Slip bekleidete junge Frau mit langen blonden Haaren in eine senkrecht stehende Streckbank gekettet war. Sowohl ihr Hals als auch ihre Hand und Fußgelenke waren mit breiten schwarzen Lederbändern an das Holzbrett gefesselt. Ihr stand das Wasser bis zur Hüfte. Direkt neben dem Wasserbecken stand ein in schwarzes Leder gewandeter kahlgeschorener Hüne, der bedrohlich die linke Hand hob, die eine Peitsche umklammerte. In seiner Rechten baumelte ein dicker schwarzer Gummischlauch. Aus den nassen Haaren der Frau schlussfolgerte Adrian, dass der muskelbepackte Folterknecht sie mit der Streckbank wohl schon mehrfach unter Wasser gedrückt hatte.
    Außerhalb des Menschenaquariums verfolgten zwei Kameramänner und eine junge Frau, die einen Bademantel hielt, mehr oder weniger gelangweilt die Szene. Adrian lauschte mucksmäuschenstill. Doch er verstand nur Bruchstücke, die der im Hintergrund stehende, ausgesprochen gut gekleidete Mann, den er auf Mitte bis Ende vierzig schätzte, zu dem Mädchen im Wasser sagte. Aber sie schien offensichtlich nicht begeistert von seinen Anweisungen zu sein.

9
    Adrian fiel es wie Schuppen von den Augen. Er kannte die Szene. Heiß und pulsierend schoss ihm das Blut durch die Adern. Das hier war kein Déjà-vu. Das war Realität. Und er wusste ganz genau, was sich hier vor seinen Augen abspielte.
    Es war mindestens fünf oder sechs Monate her, dass Enzo ihn am Ende einer Nachtschicht im Rechenzentrum von „connection“ verschwörerisch in die Privilegien seines Jobs eingeführt hatte.
    „Adrian, es gibt im Internet nichts, was es nicht gibt“, hatte der Freund damals beschwörend auf ihn eingeredet. „Pornostars, Krankenschwestern, große Möpse, kleine Brüste, Gangbang, Fetisch. Alles, es gibt einfach alles! Und es kostet nichts!“ Enzo strahlte vor Begeisterung.
    „Auf was stehst du?“, hatte er damals eindringlich gefragt und ihm kumpelhaft auf die Schulter geklopft.
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