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Darling

Darling

Titel: Darling
Autoren: Hanna Hartmann
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unerschöpflichen Quelle für Spiele, MP3s und Videofilme saß. „Vom Laster gefallen“, hatte er ihm grinsend zugezwinkert, als er ihm am Vortag die heißersehnte CD mit den allerneusten House-Stücken durchs Seitenfenster auf den Schoß geworfen hatte. Sein Dankeschön. Weil Adrian ihn vergangene Woche nach seiner Nachtschicht, als er knapp bei Kasse war, zum Freundschaftspreis zum Cocoon gefahren hatte.
    Enzo stand auf Taxifahren. Das mache bei Türstehern und Mädels heftig Eindruck, behauptete er aus tiefer Überzeugung. Adrian bezweifelte den Wahrheitsgehalt dieser These, aber er war im Gegensatz zu Enzo ohnehin nicht der Typ, der Eindruck bei Türstehern schinden wollte. Zudem war es ihm schnurzegal, was Enzo an Theorien und Hypothesen in die Welt hinausposaunte. Der Typ las seiner Meinung nach zu viel BILD und surfte zu oft im Internet.
    Als die ersten Klänge von SkyFM New York den Wagen erfüllten, entspannte sich Adrian im schwarzen Ledersitz des Mercedes. Das Armaturenbrett von Karls Wagen war picobello gewienert. Keine Fingerabdrücke, keine Flecken, keine Krümel auf dem Boden. Im Kofferraum lagen, wie Adrian wusste, der Handstaubsauger und eine Packung Feuchttücher, damit der Wagen immer tipptopp gepflegt aussah. Das Taxi war Karls ganzer Stolz.
    Als Adrian auf die Emser Brücke einbog, hörte der Regen langsam auf. Von hier oben war der nächtliche Blick Richtung Hauptbahnhof und Skyline beeindruckend. Frankfurt hatte sich in den vergangenen zwanzig Jahren, seit Adrian mit seinen Eltern nach Sachsenhausen in die Kisselsiedlung gezogen war, rasant verändert.
    Allerdings gelang es Adrian immer weniger, die zunehmende Armut, die sich zwischen den Glitzerfassaden der Häuserschluchten ihren Weg bahnte, aus seiner Wahrnehmung zu verbannen. Die traurigen Gestalten am Hauptbahnhof im Kaisersack ließen sich kaum noch aus seinem Blickfeld eliminieren. Früher war das Elend im Kaisersack ein dichter Pulk von Junkies gewesen, die beständig zwischen Bahnhof und Taunusanlage hin und her gewuselt waren. Heute sah man auf der Straße nur noch die Übriggebliebenen, die Ausgemergelten, die psychisch Kranken. Menschen, die in den vergangenen zwanzig Jahren den Trip aus Heroin und Methadon mehr schlecht als recht überlebt hatten. Wahrscheinlich wirkten diese Kreaturen nur deshalb so nachhaltig auf ihn, weil sie so krass mit den blanken und glatten Spiegelfassaden des Frankfurter Bankenviertels kontrastierten.
    Castor und Pollux vor dem Messeturm zum Beispiel. Kühle, abweisende Torwächter des Geldes, die klar und deutlich signalisierten: „Du kommst hier nicht rein.“ Wie die Türsteher vom „Living XXL“, die ihn früher wegen seines südländischen Aussehens immer wie einen dummen Schuljungen hatten abtropfen lassen.
    „Ich bin Deutscher!“, hatte er sie einmal aus Wut angeschrien. Doch der Ausbruch verpuffte völlig wirkungslos. Adrian war Luft für die Türsteher gewesen. Ihm war bewusst geworden, dass er – wie so oft – draußen bleiben würde. Geschlossene Gesellschaft. So muss sich Apartheid in Südafrika angefühlt haben, dachte er beim Blick auf die Türsteher der Frankfurter Clubszene.
    An der Galluswarte zeigte die Ampel rot. Die Straßenbahn Richtung Mönchhofstraße rauschte zügig über die Kreuzung.
    „Kulturexpress“, hatte seine Schwester die Linie 11 getauft. Weil die sechzehn Kilometer Schienen von Fechenheim bis Höchst Frankfurt wie ein stählernes Band von Arm nach Reich und wieder zurück miteinander verbanden.
    Erneut schweiften seine Gedanken zu den Junkies vom Hauptbahnhof ab. War das ein Aufstand gewesen, als man die Süchtigen nach der Eröffnung des ersten Druckraums in der Schielestraße dazu genötigt hatte, sich ihren Schuss nicht mehr direkt vor dem Bahnhof in ihre zerstochenen Venen zu setzen, sondern mit der Straßenbahn 25 Minuten quer durch Frankfurt bis zur Haltestelle „Riederhöfe“ zu fahren, um dort unter klinisch sterilen Bedingungen endlich das Rauschgift in den Körper zu drücken.
    Wer in dieser merkwürdigen Stadtverwaltung war damals eigentlich auf die glorreiche Idee gekommen, dass ein Junkie mit dem heißersehnten Stoff in der Hand so diszipliniert wäre, sich erst wie jeder andere ordentliche Fahrgast einen Fahrschein zu lösen, um dann dreizehn Stationen in einer proppenvollen Straßenbahn zu fahren, zusammen mit schniefenden Babys in schmuddeligen Buggys, müden Schichtarbeitern von Neckermann und Casella, übermütigen Schülern, die sich leere
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