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dark canopy

Titel: dark canopy
Autoren: Jennifer Benkau
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sah hilflos von einem zum anderen. Bei seinen Ringen um die Körpermitte fragte ich mich, ob er tatsächlich von irgendwem trainiert worden war. Er erweckte den Eindruck, als würde er nach wenigen Schritten japsend zusammenbrechen. Manche taten so, als wäre er gar nicht anwesend, als hätten sie ihn nicht gehört. Auch ich spürte, wie ich beklommen in eine andere Richtung sah.
    Zusammentun? Keiner von den Männern glaubte nach den Monaten des Trainings noch an so etwas wie Zusammenhalt. Ich tat es durchaus - aber nicht mit ihnen. So dicht wir auch beieinanderstanden, das Misstrauen stand wie Mauern aus kalten Quadersteinen zwischen uns allen. Ich musste mich zusammenreißen, um mich nicht zu den Percents umzusehen. Zu Neél.
    Und dann bliesen die Fanfaren zur Jagd.
    Ich starrte zur Stadtgrenze. Aus einem unsinnigen Grund dachte ich, sie ansehen zu müssen, um zu begreifen, dass der Zeitpunkt tatsächlich gekommen war.
    Die Männer rannten los. Irgendwer stieß mich zur Seite, ich fiel in den Dreck wie ein umgeschubstes Kind. Die anderen kümmerten sich nicht um mich. Nur der Dicke blieb einen Moment stehen, sah mich an, als überlegte er, mir aufzuhelfen, rannte dann doch davon und überholte zwei andere. Bei der Sonne - war der schnell! Sie liefen alle schnurstracks zum Wald.
    In diesem Augenblick zerbrach dieses winzige Stückchen Hoffnung, das ich mir über die letzten Monate erhalten hatte. Der Wald war weder meine Hoffnung noch mein gutes Omen. Es schien einfach ein niederer Trieb zu sein, zwischen den Bäumen Schutz zu suchen. Ein Instinkt. Sie alle flohen in den Wald. Ich hatte darauf spekuliert, dass sie sich verteilen würden und daher auch die Verfolger, sodass ich zwischen den breit gestreuten Jägern und Gejagten hindurchschlüpfen konnte. Genau durch ihre Mitte. Aber nun rannten sie alle in die gleiche Richtung.
    Aufstehen!, befahl ich mir. Aufstehen und nach Hause laufen! Es fiel so schwer. Ich stolperte ein paar Schritte auf den Wald zu, anstatt zu rennen.
    Ich wusste sehr genau, dass ich, wenn ich den anderen folgte, als Erste geschnappt werden würde. Trotzdem zog irgendetwas meinen Körper in genau diese Richtung. Es ist nicht so schwer, mit dem Strom ins Verderben zu rennen. Die Angst vor dem Alleinsein reißt dich einfach mit. Schwieriger ist es, einen eigenen Weg zu wählen, einen, der dir neue Chancen öffnet und für den du ganz allein verantwortlich bist. Ich schwenkte ab, sodass der Wald zu meiner Linken lag. Vor mir in weiter Entfernung waren die Felder zu erkennen. Irgendwo dort war der Fluss.
    Wider besseres Wissen zog es mich weiterhin zu den anderen Soldaten. Meine Schritte fühlten sich schwer an, als watete ich durch Sumpf. Menschen brüllten hinter dem Zaun, ich hörte sie an den Gittern rappeln. Was wollten sie? Sollte ich rennen - feuerten sie mich an? Oder brüllten sie, dass die Percents mich holen sollten? Ich gehörte nicht mehr zu ihnen, sie machten mir Angst. Und als ich mir vorstellte, sie würden den Zaun niederreißen und auf mich zustürmen, gelang es mir endlich, den Sumpf zu überwinden und zu laufen. Ich lief ein paar Schritte, dann rannte ich. Immer am Waldrand entlang, angetrieben von Stimmen, die lauter zu werden schienen, statt in der Entfernung zu verhallen. Bäume flogen an mir vorbei, der Zaun, der die Stadt umgab, wurde kleiner. Würde ich das Tor noch erkennen, wenn ich über die Schulter sah?
    Als ich den Rand der bereits abgeernteten Weizenfelder erreichte, blieb ich einen Moment lang stehen und fragte mich, ob mein Mut für eine Dummheit ausreichte. Wenn ich das Stoppelfeld überquerte, könnte ich schneller am Fluss sein. Andererseits wäre ich auch ein dankbares Ziel, sobald die Percents kamen. Ich wusste nicht, ob sie die Verfolgung schon aufgenommen hatten. Immer noch wagte ich es nicht, mich umzusehen. Hatte ich das zweite Fanfarensignal überhört oder war es noch gar nicht ertönt? In meinen Ohren trommelte mein Puls. Dahinter, irgendwo zwischen Erinnerung und Fantasie, hörte ich das Glockenläuten vom Band, mit dem sie den Tag und die Hetzjagd ausklingen lassen würden.
    Und meinen Geburtstag. Die Glocken läuteten immer zu meinem Geburtstag. Beim Himmel! Ich hatte es ganz vergessen. Heute war mein Geburtstag!
    Ein Windstoß erfasste mich von hinten, wirbelte Strähnen aus meinem Zopf, bis mir mehr ums Gesicht wehten, als noch vom Tuch gehalten wurden. Ich musste den Kopf neigen, da mein Haar mir ansonsten die Sicht nahm. War da etwas im Wind?
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