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Darf ich bleiben, wenn ich leise bin?

Darf ich bleiben, wenn ich leise bin?

Titel: Darf ich bleiben, wenn ich leise bin?
Autoren: dtv
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einem Kreis um den Wombat stellen und ihn gemeinsam beschützen.
    David bleibt eine Weile am Tisch sitzen und sein Vater erzählt von früher, als Frieder und er Kinder waren.
     
    Der Wombat liegt unter dem Sofa und denkt nach.
    Er hält sich nicht für besonders schlau, nur weil er reden und lesen kann. Das können viele Tiere und halten es vor den Menschen
     geheim, weil sie sonst gleich gefangen und ausgefragt würden. Wäre er schlau oder sogar klug, hätte er sich nicht durch diesen
     Garten gegraben. Der Wombat wusste doch, dass der Junge ihn vor seinen Leuten versteckt halten muss.
    Die feuchte, weiche Erde hat ihn verlockt. Der Wombat fing zu buddeln an und vergaß, wie alt und müde er schon ist.
    Seine Kraft reicht nicht mehr für lange, sein Leben wird bald enden. Wie alle Tiere hat auch der Wombat keine Angst vor dem
     Sterben.
    Tiere spüren, dass sie bald sterben, wenn ihre Kräfte schwächer und sie deshalb müde werden.
    Auch die Menschen haben keine Angst davor, abends ins Bett zu gehen, weil am nächsten Morgen ein neuer Tag beginnt.
    Ebenso ruhig schlafen Tiere in den Tod hinein, nur ist ihr Leben dann vorbei. Weil es meist zufrieden und glücklich war, fangen
     die Tiere am Ende nicht zu jammern an, sondern freuen sich, dass sie alt werden durften.
    In den letzten Wochen ist viel geschehen: Die lange Reise über das Meer von Australien nach Europa, die Flucht aus dem Zoocontainer,
     die Suche nach einem Versteck, die Bekanntschaft mit dem Jungen, der Wohnungsbau und die vielen neuen Wörter – all das hat
     dem Wombat die Ruhe genommen, in sich hineinzuhören. Seine große Müdigkeit hat ihn überrascht, und mehr noch das Gefühl, bald
     zu sterben.
    Der Abschied von dem Jungen tut dem Wombat Leid. Sie hätten sich noch viel erzählen können, von der Welt der Menschen und
     der Wildnis in Australien. Der Wombat gab sich so viel Mühe, die Sprache des Jungen zu lernen.
    Ein Gutes hat die Sache doch: Der Junge muss sich um den Wombat nicht mehr sorgen, weil es keinen Wombat mehr geben wird mit
     Schnauze, Fell und Pfoten, der viereckige Stinker auf kleine Türmchensetzt und sich an Schrank- und Stuhlbeinen wetzt, wenn es ihn am Rücken und am Nacken juckt.
     
    Das Humpeln auf der Treppe jagt dem Wombat keinen Schrecken mehr ein, als David eine Stunde später langsam die Stufen hinuntersteigt.
    Der Wombat hat sich die Kissen unter den Rücken gelegt, dass sie ihn stützen. Seine Muskeln schmerzen, nach dem tagelangen
     Graben und Schaufeln.
    Er horcht dem Jungen entgegen. David öffnet die Tür und freut sich Schnauze gleich zu sehen. In Gedanken nennt er ihn manchmal
     bei seinem alten Namen.
    »Hey, ich habe eine Idee! Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken. Wenn die anderen hören, wie du sprechen kannst, werden
     sie dich behalten wollen.«
    Der Wombat hat verstanden, was der Junge gesagt hat, und lässt ihn weiterreden.
    »Ganz bestimmt darfst du bleiben, vielleicht kommst du sogar ins Fernsehen!«
    Hauptsache, er darf bleiben. Der Wombat begreift nicht, warum er dabei in die Ferne sehen soll.
    »Papa und ich sind heute Mittag allein. Wir können mit Papa anfangen, er wird dir garantiert nichts machen.«
    »Hat der Papa den Stuhl gehört? Der Stuhl fiel hin und der Papa hob ihn wieder auf?«
    »Welcher Stuhl?«
    »Der Stuhl war meine Leiter zur Schokoladenkiste.«
    »Ach, der Stuhl, den du nachts umgeworfen hast! Ja, da war Papa wach geworden. Vor ihm musst du keine Angst haben. Ich kann
     ihn gleich rufen. Wenn er dich sieht und reden hört, macht er dir deine Gänge im Garten nicht kaputt!«
    Der Wombat weiß nicht, wie er dem Jungen sagen soll, dass es ihn bald nicht mehr gibt.
    David sieht ihn aufgeregt an. Er steht mitten im Zimmer und stützt sich an den Schrank statt auf seine Krücke.
    »David, du bist so groß. Kannst du herunterkommen?«
    David schiebt das Gipsbein vorsichtig auf den Teppich und legt seinen Kopf dicht neben den Wombat auf die Kissen.
    »David, was machen die Menschen, wenn einer von ihnen stirbt?«
    David wundert sich, was den Wombat an den Menschen interessiert. Sein Großvater starb vor einem halben Jahr, an die Beerdigung
     kann sich David genau erinnern.
    »Sie graben ein tiefes Loch und legen ihn in die Erde. Dann gehen sie in die Wirtschaft und essen und trinken und erzählen
     sich Geschichten von dem, der tot ist.«
    Der Wombat lächelt.
    »Das ist schön. Ein Wombat stirbt allein. Wenn er fühlt, dass er sterben wird, vergräbt er sich.«
    Der Wombat
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