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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben
Autoren: Beatrix Gurian
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verdächtig zittrig. »Notfalls werde ich uns eine Wohnung mieten und dort arbeiten. Und du kannst in Linas Schule gehen.«
    Ich bin fassungslos, was ich da höre. Irgendwie hat mein Verstand noch nicht recht verarbeitet, was überhaupt geschehen ist. So, wie Pa das sagt, klingt es, als stelle er sich auf eine lange Zeit ein. Erst jetzt merke ich, wie ich ganz unwillkürlich davon ausgegangen bin, dass Lina bald wieder aufwacht. Ein Koma kann doch auch nur Tage dauern, oder nicht? Und hatte Oliver nicht gesagt, dass sie einfach nur dehydriert war?
    »Wie konnte das denn überhaupt passieren?«, frage ich mühsam, weil etwas mir die Kehle zuschnürt.
    »Du kannst sicher sein, dass ich Oliver genau diese Frage stellen werde, und wehe, wenn er mir dazu keine Antwort geben kann.«
    Schenk ist hier. Hat Lina damit Oliver gemeint?
    Pa fährt viel schneller als sonst. Wir sind in Rekordzeit in München und biegen bald auf den Parkplatz des Krankenhauses ein.
    Lina ist an diverse Apparate angeschlossen, die piepsen und biepen, aus ihrem Hals ragt eine Plastikkanüle, an der verschiedene Schläuche hängen. Diesmal müssen wir uns grüne Kittel und Schuhüberzüge anziehen und es darf immer nur einer zu ihr ins Zimmer.
    Als wir kommen, sitzt Mam mit verweinten Augen neben Linas Bett. Sie verlässt den Raum und Pa nimmt ihren Platz ein. Mama umarmt mich so fest, als wäre ich gerade von den Toten wiederauferstanden. »Ruby, Ruby, Ruby, meine Kleine …«, murmelt sie immer wieder und drückt mich an sich. Meine Kleine? Ich bin siebzehn!
    »Was ist passiert?«, frage ich sie und schiebe sie ein bisschen von mir weg. »Oliver hat doch gestern gesagt, dass alles in Ordnung ist.«
    Mama zieht laut die Nase hoch, holt ein Taschentuch heraus und putzt sich die Nase. »Ja. Lina ging es so gut, dass sie heute Mittag sogar schon wieder Besuch aus ihrer Schule bekommen durfte. Aber gegen Abend hat Oliver noch einmal nach ihr gesehen und da war sie schon ins Koma gefallen. Niemand weiß, was geschehen ist. Manchmal kann …«, ihre Stimme bricht, sie räuspert sich, redet dann fest entschlossen weiter, » … manchmal kann eben so etwas passieren. Aber ich bin sicher, sie wird wieder aufwachen. Wir tun alles, um sie zurückzuholen. Oliver kennt viele Spezialisten und die sagen, es besteht Hoffnung.« Aber trotzdem weint sie nun, schluchzt, ihr ganzer Körper zittert und ich kann nicht anders, ich heule auch wie ein Schlosshund. Es ist eine Sache, seiner Schwester die Pest an den Hals zu wünschen, aber eine ganz andere, sie so hilflos im Krankenhaus liegen zu sehen. Und das Allerschlimmste ist: Ich muss den Tatsachen ins Auge schauen. Ein Koma kann Tage dauern, ja. Aber es kann sich auch Jahre hinziehen.
    Nein, versuche ich mich zu beruhigen. Das wird nicht passieren. Olivers Spezialisten sagen das ja auch.
    Dann darf ich endlich zu ihr hinein. In dem Krankenzimmer ist es sehr kühl und man ist von dem ohrenbetäubenden Lärm umgeben, den die Kontrollgeräte verursachen. Immerhin sieht man, dass Linas Herz wunderbar regelmäßig schlägt. Beklommen nehme ich ihre Hand und streichele sie. Schade, dass ich Mr Singer im Auto gelassen habe. Vielleicht würde sein schiefes Ohr meine Schwester wieder zurückholen. »Lina, wo immer du bist, ich habe dich lieb, und wenn ich jemals etwas Gemeines über dich gedacht habe, dann tut es mir leid. Ich hoffe, dort, wo du jetzt bist, ist es richtig schön. Vielleicht bist du ja dorthin geflüchtet, weil du so große Angst vor einem bösen Schenk hast? Ich verspreche dir, ich werde herausfinden, wer das ist, und ich werde dafür sorgen, dass er dir nichts mehr tun kann. Dann kommst du zurück, ja? Hast du mich verstanden? Wenn ja, dann bitte, gib mir ein Zeichen. Drück meine Hand, atme anders … oder«, ich versuche einen Witz, Lina liebt blöde Witze, »oder du pupst einfach.«
    Ich bilde mir ein, sie hätte zweimal hintereinander schnell eingeatmet, und nehme das als eine Antwort. Aber dann tut sie es wieder und mir wird klar, dass ich mir etwas vormache. Wahrscheinlich hat sie gar nichts gehört. Tränen quellen aus meinen Augen und ich fange wieder an zu schluchzen. Ich will nicht glauben, dass ich nichts tun kann, um sie da wieder rauszuholen. Dieser Gedanke macht alles erst so richtig hoffnungslos.
    Pa kommt herein und streicht mir über den Kopf. »Schschscht. Ruby, Schätzchen, du gehst jetzt mit Mama mit. Du wohnst fürs Erste bei ihr und Oliver, bis ich eine Lösung gefunden habe. Glaubst du,
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