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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben
Autoren: Beatrix Gurian
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Verletzungen hätte sie ihm aus Notwehr zugefügt.
    Aber es gibt Beweise, die nicht wegzudiskutieren sind. John wurde zuerst angegriffen, das konnte man nachweisen. Und an der Stange, die sie benutzt hat, um ihn niederzuschlagen, befand sich auch Blut von meinem Kopf. Aber sonst ist sie sehr klug vorgegangen. Man hat nicht mal ihre Fingerabdrücke an der Tür und dem Schalter der VDV-Kammer, der Vakuum-Dampf-Vakuum-Kammer, gefunden, mit der die Matratzen sterilisiert werden.
    Die einzige Option, ihr doch noch alles nachzuweisen, sind die Beweise, die Lina versteckt hat. Leider hatte ich wochenlang keine Ahnung, wovon sie alle redeten. Es war Feli, die mir geholfen hat, mich zu erinnern. Sie zeigte mir immer wieder Fotos von Schäferhunden, was mir reichlich auf die Nerven ging, bis mir dann eines Nachts der Name Napoleon kam. Und das war so, als hätte man einen Dominostein angeschubst, ein Steinchen nach dem anderen fiel um und dann wusste ich wieder, wo Lina die Beweise versteckt hatte.
    Und heute ist der Tag, an dem ich sie holen werde.
    Aber ich bin immer noch ziemlich lahm in allem und sehr schreckhaft. Eine unerwartete Bewegung in meinem Gesichtsfeld und ich bekomme Herzrasen und mir wird schwarz vor Augen.
    Deshalb fahren wir erst mal zu Oliver und Mam, um dort zu essen, lassen den Tag langsam angehen. Ich bin sehr aufgeregt und wünsche mir, dass alles gut klappen wird.
    Pa pfeift während der Autofahrt vergnügt vor sich hin, und als ich frage, warum er so ausnehmend guter Laune ist, kündigt er mir an, dass Oliver eine Überraschung für mich hätte.
    Seit dem Schlag auf den Kopf habe ich Angst vor Überraschungen, alle schauen einen an und wollen eine Reaktion und ich hab keine Ahnung, ob ich das Richtige tue. Deshalb versuche ich, Pa auszuhorchen, aber er wirft mir nur einen Blick von der Seite zu und lächelt ermutigend. »Alles wird gut, mach dir keine Sorgen.«
    Ich habe den Eindruck, dass Pa sich mit Oliver während meiner Rekonvaleszenz irgendwie ausgesöhnt hat.
    Als wir vor der Wohnung in der Mainzerstraße stehen, kann ich mich beim besten Willen nicht mehr an den Code erinnern, aber Mam reißt sowieso schon die Tür auf und umarmt mich fest. Im Krankenhaus hat sie neben meinem Bett kampiert und in der Reha hat sie am Anfang in meinem Zimmer geschlafen, bis man sie nach zwei Wochen gebeten hat zu gehen, weil ich lernen müsste, wieder ohne sie zurechtzukommen. Aber nachdem sie weg war, hatte ich furchtbare Angst und wollte mein Zimmer nicht mehr verlassen. Es hat zehn Tage gedauert, bis ich gelernt habe, damit umzugehen.
    Ich umarme sie auch, dann setzen wir uns an den schön gedeckten Tisch. Es ist für fünf gedeckt.
    »Kommt Alex auch?«, frage ich, was alle zu einem entsetzten Luftholen zwingt. Mein Hirn ist wirklich noch sehr daneben. Alex ist in Untersuchungshaft.
    »Ich mache mir die allergrößten Vorwürfe, dass ich nicht gemerkt habe, wie mein Sohn abdriftet.« Oliver und Mam schauen sich an. »Wir haben total versagt.«
    »Nein«, mischt sich Pa mit fester Stimme ein, »Unsinn, jeder macht Fehler, aus was für Gründen auch immer. Aber Alex ist erwachsen und er ist intelligent und irgendwann war ihm sehr klar, was er da Fürchterliches tut. Und anstatt mit dieser Erkenntnis umzugehen, hat er es vorgezogen, die Augen zuzumachen. Das ist nicht deine Schuld, das ist niemandes Schuld, das war allein seine Entscheidung.«
    Nachdem ich endlich aufgehört habe, Oliver zu hassen, bin ich in der Lage, Pa zuzustimmen. Oliver hat nämlich nicht nur mein Leben gerettet, sondern, wie ich seit einer Woche weiß, auch das von John. Er hat alle Kontakte, die er durch seine wohltätige Arbeit in verschiedenen sozialen Einrichtungen hat, dazu genutzt, Johns Abschiebung zu verhindern. Außerdem will er ihm sogar dabei helfen, einen Studienplatz an der Uni in München zu finden. Immer, wenn ich daran denke, freue ich mich für John und schäme mich in Grund und Boden. Von wegen scheinheiliger Oliver. Seit ich diese Zimmer mit den Arbeitssklaven von Dennis und Alex gesehen habe, weiß ich, wie gut es ist, dass es Menschen gibt, die sich um diese Leute kümmern und ihnen helfen.
    »Bevor wir essen, solltest du die Beweise holen«, erinnert mich Pa und ich fühle mich schon wieder leicht überfordert. Alles ist neuerdings so anstrengend für mich.
    »Frau Vogel weiß Bescheid und wartet schon auf dich.«
    Er bringt mich nach unten und klingelt. Napoleon bellt und quetscht seinen Kopf schon durch die Tür, als
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