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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben
Autoren: Beatrix Gurian
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sie noch gar nicht richtig offen ist. Offensichtlich geht sie auch nicht viel weiter auf, denn Frau Vogel winkt mich herein, aber sie will nicht, dass Pa mitkommt. Bestimmt ist ihr der Zustand der Wohnung peinlich, deshalb versichere ich meinem Vater, dass ich das wirklich allein schaffen kann.
    Der muffige, süßlich modrige Geruch steigt in meine Nase und macht mich glücklich. Allein, dass ich wieder riechen kann, ist ein Wunder. Denn in den ersten Wochen nach meiner Kopf-OP war mein Geruchssinn vollkommen verschwunden. Dann erst merkt man, wie arm das Leben ohne Duft ist, und außerdem schmeckt man auch nichts mehr und das ist schrecklich.
    Frau Vogel bleibt in der Küche und lässt mich alleine suchen. Ich gehe in das Zimmer, in dem ich zum ersten Mal mit John gesprochen habe und solche Angst vor ihm hatte. Wie hätte ich damals ahnen können, dass ich ohne ihn heute tot wäre?
    Ich suche nach der Stelle, an der ich an dem Tag gestolpert bin, was dann den Karton mit den Dessous ins Rutschen gebracht hat. Hier irgendwo bin ich über die Kordel der türkisfarbenen Douglas-Tüte gefallen.
    Ich danke im Stillen noch einmal Frau Vogel, dass ihr das mit der türkis glänzenden Papiertüte wieder eingefallen ist. Ohne diesen Hinweis wäre ich nie auf die Douglas-Tüte gekommen.
    Alles sieht noch so aus wie an dem Tag, als ich mit John hier war. Ich gehe in die Knie, Napoleon setzt sich neben mich und schaut mir freundlich hechelnd dabei zu, wie ich ein paar Zeitungen, Spitzenstrümpfe und Plastiktüten zur Seite räume. Nach einiger Zeit stoße ich auf die Kordel, ziehe an ihr, sie hat sich irgendwo verhakt, aber ich ziehe weiter, bringe so einen ganzen Schwung Müll in Bewegung und kann mich gerade noch zusammen mit Leon aus der Schusslinie bringen.
    »Alles in Ordnung?«, ruft Frau Vogel aus der Küche.
    »Ja, alles bestens«, versichere ich ihr und dann betrachte ich die Tüte.
    »Das ist sie, Leon«, flüstere ich, »schau, da drin liegt alles Böse dieser Welt!« Vorsichtshalber sehe ich aber noch hinein, schließlich könnte Frau Vogel ja auch mehrere von diesen Tüten gehamstert haben. Aber nein, ich habe recht gehabt. Ich erkenne Linas Puppenkoffer mit den Pferden. Ich hole ihn aus der klammen Tüte, im Koffer klappert etwas. Jetzt brauche ich nur noch den Schlüssel, den ich im Sitzsack versteckt habe, und dann wissen wir endlich, warum Lina sterben musste.
    Ich gehe zurück zu Frau Vogel, zeige ihr die Tüte, danke ihr fürs Aufbewahren, streichle Napoleon über den Kopf und trete in den Flur, wo Pa auf mich wartet.
    Zusammen laufen wir nach oben und ich bitte Oliver und meine Eltern darum, dass ich den Puppenkoffer alleine aufmachen darf. Pa findet das nicht gut, aber schließlich erlauben sie es.
    Ich gehe in Linas Zimmer, hole den Schlüssel mit dem Lederband und sperre voller Spannung das Köfferchen auf.
    Auf ersten Blick bin ich enttäuscht. Ich hatte so auf ihr Tagebuch gehofft und manchmal habe ich mir in der Reha auch vorgestellt, dass der Koffer einen Brief an mich enthält, was natürlich nur zeigt, wie verwirrt mein Geist war.
    Von alldem ist nichts zu sehen.
    Stattdessen liegt ein iPhone im Koffer und trotz meiner Enttäuschung fängt mein Herz an zu klopfen. Ich hab keine Ahnung, woher Lina das hat, aber das ist mir in diesem Moment auch egal.
    Ich suche als Erstes nach Fotos und finde die Bilder, die ich im Computer gesehen habe. Aber das ist noch nicht alles. Es gibt noch viel mehr Fotos, darunter auch welche von mehreren Zimmern mit eingepferchten Menschen. Schwarze Spüler bei der Arbeit, schwarze Putzfrauen. Aber das allein sind noch keine Beweise und ich bin sicher, dass Lina dieses iPhone aus gutem Grund versteckt hat. Ich schaue bei den Videos nach.
    Es sind einzelne Clips, verwackelt, manchmal sehr unscharf, aber in ihrer Vielzahl so eindeutig, dass ich vor lauter Aufregung zu zittern beginne.
    Ich bin total beeindruckt, wie mutig meine Schwester gewesen ist. Sie muss gewusst haben, in welche Gefahr sie sich damit gebracht hat, als sie heimlich gefilmt hat, wie Amari die Schwarzen in ihrem Verschlag abholt und mit ihnen wegfährt. Wie diese Leute dann als Spüler arbeiten oder in die Uniformen der Putzfirma von Dennis’ Vater schlüpfen. Dann folgen Videos, wie Dennis von Gretchens Vater in der Pizzeria Il Corvo Bargeld kassiert. Ich weiß nicht, ob solche Handyaufnamen vor Gericht zugelassen sind, aber wenn ja, dann sind das hier genug Beweise für viele Jahre hinter Gittern.
    Ich
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