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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben
Autoren: Beatrix Gurian
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hat, dass es Lina war, die ihren Bruder anzeigen und Dennis auffliegen lassen wollte, dann hatte sie ein Motiv und vor allem jede Möglichkeit, Linas Leben zu beenden. Doch er war sich eben nicht sicher, dass Samira davon gewusst hat. Amari hat sie immer nur dann angerufen, wenn er etwas von ihr gebraucht hat. Er kann sich nicht vorstellen, dass er mit ihr über seine Geheimnisse geredet hat.
    Als er endlich auf den Hof von Olivers Wohnung einbiegt, fragt er sich, ob er es fertigbringen wird zu klingeln, aber dann ist es gar nicht nötig, denn er trifft im Hof auf die Frau mit dem Hund.
    Sie geht auf ihn zu und schüttelt ihm die Hand, was ihn völlig verblüfft. Der Hund erkennt ihn wieder und wedelt freundlich mit dem Schwanz. »Es tut mir leid, dass ich Angst vor Ihnen gehabt habe«, sagt sie und bringt ihn noch mehr zum Staunen. Er beginnt zu schwitzen. Soll das eine Anspielung sein oder ein merkwürdiger Witz? Er hat noch nie bei ihr geklingelt, er ist nur einmal dort eingebrochen.
    »Sie sind nicht da, die Brandts, die Armen sind bestimmt im Krankenhaus. Das ist ja auch ein solcher Schock, wenn die Tochter sich umbringt.«
    Im Krankenhaus, das ist kein guter Ort. Überhaupt kein guter Ort. »Was ist denn passiert?« Sein Herz schlägt schneller, ist er schon wieder zu spät dran?
    »Das weiß ich auch nicht genau, aber jemand wurde mit Blaulicht abtransportiert.«
    »Danke«, presst er gerade noch hervor, dann rennt er zutiefst beunruhigt zum Elisabethenstift.
    Dort fragt er nach Dr. Brandt, und weil es ihm zu lange dauert, bis der Lift kommt, rast er die Treppen nach oben. Als er völlig außer Atem im fünften Stock ankommt, sieht er Dr. Brandt im Gespräch mit Dennis’ Vater, den er verabscheut. Er ist versucht, sich zu verstecken, aber seine Sorge um Ruby treibt ihn vorwärts.
    Er läuft zum Zimmer von Rubys Mutter und bleibt unschlüssig vor ihrer Tür stehen, traut sich nicht so recht hinein und hofft, dass Ruby irgendwann herauskommt. Schließlich klopft er aber doch, und als er sieht, dass nur Rubys Mutter im Zimmer ist, entschuldigt er sich und geht zum Aufzug. Vielleicht ist die Gazelle mit ihrem Vater in der Cafeteria? Sie muss von diesem Tag völlig geschwächt sein.
    Als der Aufzug kommt und sich öffnet, tritt ihm Samira außer Atem und mit roten Wangen entgegen. Als sie ihn entdeckt, lächelt sie ihm zu, so freundlich und offen, dass es ihm wieder unmöglich erscheint, dass sie von den Machenschaften ihres Bruders weiß.
    Sie begrüßt ihn und fragt ihn allen Ernstes, ob ihn die Sorge um Amari hergetrieben hat. Erst versteht er nicht, aber dann begreift er, dass Amari hierhergebracht wurde. Ausgerechnet.
    Seine Unruhe wächst und er fragt nach Ruby.
    »Ja, sie war hier, aber ich glaube, sie ist nach Hause gegangen, dabei sah sie fürchterlich aus. Meiner Meinung nach hätte Dr. Brandt sie gleich neben ihre Mutter verfrachten und an einen Tropf hängen sollen. Was ist heute eigentlich los? Weißt du, warum mein Bruder zusammengeschlagen wurde?«
    »Ich glaube, das waren ein paar Nazitypen in der U-Bahn«, murmelt er und findet seine dreiste Lüge vollkommen in Ordnung.
    »Entschuldigen Sie«, ertönt hinter ihnen eine missbilligende Stimme. »Wir würden wirklich gern den Aufzug benutzen.«
    Der Vater von Dennis mustert ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, verkneift sich aber jeden Kommentar. Begleitet wird er von einer jungen Frau mit den Augen eines Sommermorgenhimmels.
    Samira verabschiedet sich und John wartet mit den beiden schweigend darauf, dass der Aufzug kommt.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische.« Die junge Frau tippt leicht auf seinen Arm, dabei steigt ihm ihr Parfüm in die Nase, das nach Vanille riecht. »Ich habe gehört, wie Sie nach Ruby gefragt haben.«
    John wendet sich der jungen Frau zu. »Kennen Sie sie?«
    Sie lächelt ihn freundlich an. »Wir gehen in dieselbe Klasse. Ruby ist vorhin runter in die Bettenzentrale. Sie hat nach Schwester Samira gesucht.«
    »Komisch, dass Samira nichts davon erwähnt hat.«
    »Vielleicht haben sie sich verfehlt.« Die junge Frau zuckt mit den Achseln.
    John weiß, wie groß die Bettenzentrale ist. Er hat sie gesehen, als er durch den Keller vor Ruby weggelaufen ist, damals, als er noch nicht sicher war, ob er ihr trauen sollte. Einmal hat er dort auch übernachtet, aber wegen der Ratten nicht besonders gut geschlafen.
    Er denkt an die vielen Gänge und dann daran, wie die Gazelle ausgesehen hatte, kurz bevor er sie in der Tiefgarage
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