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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben
Autoren: Beatrix Gurian
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dem Schwesternzimmer finde ich Jay.
    »Die ist unten im Keller, in der Bettenzentrale«, sagt er in seinem gebrochenen Deutsch. »Die Schwesternschülerinnen haben ein Bett zu wenig gebracht.«
    Den letzten Satz höre ich kaum noch, denn ich bin schon auf dem Weg zum Aufzug, in dem wir vorhin die beiden Schwestern getroffen haben.
    Ich hämmere auf die Abwärtstaste und warte ungeduldig, dass die Türen sich öffnen.
    Ich muss mit Samira reden, und zwar jetzt gleich, bevor noch mehr Menschen zu Schaden kommen.

26. Kapitel
    Als die Lifttüren aufgehen, lande ich in der Eingangshalle und mir wird klar, dass der Besucherlift nicht in den Keller geht, deshalb laufe ich hinüber zum Treppenhaus und dort die Treppen in den Keller zu Fuß hinunter.
    Gerade als ich die schwere Eisentür öffnen will, wird sie schon aufgedrückt, zwei junge, überarbeitet aussehende Ärzte kommen heraus.
    »Die Bettenzentrale?«, frage ich.
    »Durch die Tür in den Gang, erst rechts, dann links«, sagt einer von ihnen automatisch, bevor er sich wieder seiner Diskussion mit dem anderen zuwendet. Er hat mich nicht einmal angeschaut.
    Ich schlüpfe durch die Tür und spähe in den Gang. Dieser unangenehme Geruch überfällt mich und erinnert mich daran, dass ich schon einmal hier war. Aber diesmal läuft keine schwarze Kapuzengestalt vor mir davon und heute kommt es mir nicht so dunkel vor wie neulich, was sicher daran liegt, dass es oben auch schon nicht mehr hell war.
    In dem Leitungsgewirr über meinem Kopf knackst und gluckert es und ich sehe jetzt, dass rechts von mir eine Art Lageplan des Kellers angebracht ist. Der unterirdische Gang verbindet offenbar die sechs verschiedenen Häuser des Elisabethenstifts.
    Die Bettenzentrale ist ein riesiger Bereich, zu dem ich geradeaus laufen muss, genau wie der Arzt es gesagt hat, dann in den ersten Gang links und schließlich wieder rechts.
    Außer mir ist hier niemand unterwegs, sodass ich nur meine Schritte auf dem Linoleum höre und die Geräusche der Leitungen.
    Nachdem ich schon ein Stück gelaufen bin, geht hinter mir die Eisentür auf, ich drehe mich um und bleibe stehen. Ein Pfleger schiebt ein Bett mit einem Patienten in den Gang, er scheint in großer Eile zu sein. Als er näher kommt, treffen sich unsere Blicke und ich habe Angst, dass ich nun doch gefragt werde, was ich hier zu suchen habe. Aber dann rast er mit dem Bett kommentarlos an mir vorbei und ich sehe erst jetzt, dass das grüne Tuch auch über das Gesicht des Patienten gebreitet ist. Eine Leiche also.
    Hierhin hat man Lina vermutlich auch gebracht, als sie von Samira so schnell von der Station verbannt wurde. War der Streit, den sie mit Oliver hatte, wegen eines »angeblichen Fehlers« von Samira, der Lina das Leben gekostet hat und den Oliver nicht gewillt war zu decken?
    Ich gehe weiter bis zur nächsten Abzweigung, die Bettenzentrale liegt zu meiner Linken, die Pathologie geht rechts ab. Der Pfleger mit der Leiche ist längst verschwunden.
    Der Geruch verändert sich hier, es riecht mehr nach Sagrotan und nach etwas, das ich kenne, aber nicht zuordnen kann. Der Boden ist in diesem Bereich gefliest, meine Schritte klingen viel lauter als vorher auf dem Linoleum.
    Und dann stehe ich vor der Bettenzentrale, so lautet jedenfalls die Beschriftung auf einer großen Glasdoppeltür, die automatisch nach innen aufgeht. Von dort sind große Pfeile an die Wand gemalt, unrein und rein steht da, und VDV-Kammer .
    Aber auch wenn die Glastür nicht beschriftet wäre, wüsste ich, dass ich richtig bin, weil hier Bett an Bett an Bett in langen Schlangen gereiht ist. Die Eisenstangen der Kopfteile schimmern im Halbdunkel, nur sehr weit hinten brennt ein Licht. Sparmaßnahmen? Oder ist hier schon geschlossen?
    Das würde auch erklären, warum Samira selbst das Bett holen musste.
    Ich drücke die Glastür auf und falle beinahe um, hier riecht es richtig grauenhaft, wie eine Mischung aus schmoddriger Schmutzwäsche und vollem Windeleimer, die man mit Raumspray zu überdecken versucht.
    Ich quetsche mich zwischen den Betten durch, natürlich habe ich noch nie darüber nachgedacht, dass alle Betten im Krankenhaus auch wieder gereinigt werden müssen.
    Hunderte von Metern stehen die Betten da, und so wie sie riechen, sind sie alle benutzt und schmutzig. Langsam kommt es mir doch komisch vor, dass hier kein Mensch ist. Ich gehe weiter zum Licht, hier befinden sich gemauerte und rosa geflieste Abteile mit Schläuchen, die wie in der Sauna oder im
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