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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
Autoren: Mitch Albom
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Ledersessel, der so weich war, dass ich darin versank wie ein Kind.
    »Sitzen Sie gut?«, fragte der Rebbe.
    Ja, log ich.
    »Möchten Sie etwas essen?«
    Nein danke.
    »Trinken?«
    Ich brauche nichts, danke.
    »Okay.«
    Ich hatte mir keine Einstiegsfrage zurechtgelegt. Was war in diesem Fall als erste Frage am besten geeignet? Womit beginnt man, wenn man ein ganzes Leben begreifen will? Ich schaute wieder zu dem Aktenordner mit der Aufschrift »Gott« hinüber, der mich irgendwie faszinierte (was mochte er wohl enthalten?), und platzte dann mit der naheliegendsten Frage heraus, die man einem Geistlichen stellen kann.
    Glauben Sie an Gott?
    »Ja, das tue ich.«
    Ich notierte das.
    Sprechen Sie mit Gott?
    »Regelmäßig.«
    Und was sagen Sie zu ihm?
    »Zurzeit?« Der Rebbe seufzte. Dann antwortete er, halb singend: »Zurzeit sage ich: ›Lieber Gott, ich weiß, dass wir uns bald sehen werden. Und wir werden uns prima unterhalten. Wenn du mich holen willst, lieber Gott, dann tu es. Und wenn du mich noch hier lassen willst‹« – er öffnete die Hände und blickte zur Decke auf –, »dann gib mir doch bitte Kraft für alles, was noch getan werden muss.«
    Er ließ die Hände sinken und zuckte die Achseln. Zum ersten Mal hatte ich ihn über seine Sterblichkeit sprechen hören. Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich mich hier nicht einfach nur auf ein paar Unterhaltungen eingelassen hatte. Sondern dass jede Frage, die ich diesem alten Mann stellte, zu der einen hinführen würde, die ich nicht zu stellen wagte.
    Was soll ich über Sie sagen, wenn Sie gestorben sind?
    »Aah«, seufzte er und blickte wieder nach oben.
    Was? Hat Gott geantwortet?
    Der Rebbe lächelte.
    »Ich warte noch«, sagte er.

Im Jahre 1966 …

    … kommt meine Großmutter zu Besuch. Wir haben gerade zu Abend gegessen und räumen den Tisch ab.
    »Es ist Jahrzeit «, sagt meine Großmutter zu meiner Mutter.
    »Im Küchenschrank«, antwortet meine Mutter.
    Meine Großmutter ist eine kleine rundliche Frau. Sie geht zu dem Schrank, kann aber das oberste Fach nicht erreichen.
    »Spring mal hoch«, sagt sie zu mir.
    Ich springe.
    »Siehst du die Kerze?«
    Im obersten Fach steht ein kleines mit Wachs gefülltes Glas, aus dem ein Docht aufragt.
    Das da?
    »Vorsichtig.«
    Wozu ist das?
    »Für deinen Großvater.«
    Ich habe meinen Großvater nicht mehr kennengelernt. Er starb mit zweiundvierzig Jahren an einem Herzinfarkt, während er in einem Sommerhaus ein Waschbecken reparierte.
    Was ist das?, frage ich.
    Meine Mutter legt mir die Hand auf die Schulter.
    »Wir zünden die Kerze an, um uns an ihn zu erinnern. Geh spielen.«
    Ich gehe hinaus, werfe aber noch einen verstohlenen Blick über die Schulter. Meine Mutter und meine Großmutter stehen vor der Kerze und murmeln ein Gebet.
    Später, als die beiden nach oben gegangen sind, schleiche ich noch einmal in die Küche. Es ist ganz dunkel, doch die Flamme in dem Glas wirft ihren Lichtschein auf die Spüle, den Tisch, den Kühlschrank. Ich weiß noch nicht, dass es sich hierbei um einen religiösen Ritus handelt. Ich halte es für Magie und frage mich, ob mein Großvater wohl in dieser lodernden kleinen Flamme im Glas steckt.
    Und ich beschließe, dass ich niemals sterben will.

Henrys Leben

    A ls Henry Covington Jesus zu seinem Erlöser erkor, war er zehn Jahre alt und Teilnehmer eines kleinen Bibel-Camps in Beaverkill im Bundesstaat New York. Das Camp bedeutete für Henry zwei Wochen Auszeit vom Lärm und dem Chaos in Brooklyn. Hier spielten die Kinder im Freien, jagten Frösche und sammelten Pfefferminzblätter, die sie in ein Glas Wasser legten und in die Sonne stellten. Abends gaben die Betreuer Zucker dazu und kochten Pfefferminztee.
    Eines Abends fragte eine hübsche hellhäutige Betreuerin Henry, ob er mit ihr beten wolle. Sie war siebzehn, schlank und sanft, trug einen braunen Rock zu einer weißen Rüschenbluse und hatte ihr Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Henry fand sie so schön, dass ihm der Atem stockte.
    Ja, antwortete er. Er wolle mit ihr beten.
    Sie gingen hinaus.
    »Du heißt Henry, und du bist ein Kind Gottes.«
    »Ich heiße Henry, und ich bin ein Kind Gottes«, sprach er ihr nach.
    »Willst du Jesus Christus als deinen Erlöser erwählen?«, fragte sie.
    »Ja, das will ich«, antwortete Henry.
    Sie nahm seine Hand.
    »Wirst du deine Sünden beichten?«
    »Ja, das werde ich tun.«
    »Willst du, dass Jesus dir deine Sünden vergibt?«
    »Ja, das will ich.«
    Sie lehnte ihre Stirn an
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