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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
Autoren: Mitch Albom
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Aufsätze über Archen und Manna, die Kabbala und die Mauern von Jericho. Ich lernte sogar eine frühe Form des Aramäischen, damit ich Talmud-Kommentare aus dem 12. Jahrhundert von Gelehrten wie Raschi und Maimonides übersetzen konnte.
    Zum Studium ging ich dann auf die Brandeis University, die hauptsächlich von jüdischen Studenten besucht wird. Um meinen Beitrag zu den Studiengebühren leisten zu können, betreute ich Jugendgruppen in einer Synagoge außerhalb von Boston.
    Als ich schließlich meinen Abschluss machte und in die Welt hinauszog, war ich genauso firm in meiner Religion wie jeder andere junge Mann, den ich kannte.
    Und dann?
    Dann ließ ich das alles mehr oder weniger links liegen.
    Ich rebellierte nicht gegen meine Religion. Ich büßte auch nicht auf tragische Weise meinen Glauben ein. Wenn ich ehrlich bin, hatte es mehr mit Gleichgültigkeit zu tun. Ich hatte kein Bedürfnis nach Religion. Ich machte Karriere als Sportreporter, und meine Tage bestanden vor allem aus Arbeit: Samstagvormittags war ich unterwegs zu College-Footballspielen, und sonntagmorgens schaute ich die Spiele der Profis an. Ich besuchte keine Gottesdienste mehr; dafür hatte ich keine Zeit. Es ging mir gut. Ich war gesund, ich verdiente Geld, beruflich ging es bergauf. Ich hatte es nicht nötig, Gott um etwas zu bitten, und solange ich niemandem Schaden zufügte, dachte ich mir, würde Gott wohl auch nichts von mir verlangen. Ich war der Meinung, dass Gott und ich ein vernünftiges Arrangement getroffen hatten: Wir gingen beide unserer Wege. Ich für meinen Teil hielt keine religiösen Regeln ein und traf mich mit Mädchen unterschiedlichster Religionen. Dann heiratete ich eine schöne dunkelhaarige Frau, die Halblibanesin war. Im Dezember kaufte ich ihr Weihnachtsgeschenke, und unsere Freunde scherzten: Ein Jude, der eine christliche Araberin heiratet? Na dann viel Glück.
    Im Lauf der Zeit entwickelte ich eine ziemlich zynische Grundhaltung zu offen gelebter Religiosität. Leute, die zu fanatisch waren und sich allzu heilig gaben, machten mir Angst. Und die heuchlerische Frömmelei, die ich in der Politik und im Sport zu sehen bekam – Kongressabgeordnete, die von ihren Geliebten direkt zum Gottesdienst gingen, Football-Trainer, die gegen die Regeln verstießen und dann mit der Mannschaft beteten –, trug nicht dazu bei, an dieser Haltung etwas zu ändern. Außerdem neigen Juden in Amerika – vermutlich ebenso wie überzeugte Christen, Muslime oder Hindus – dazu, ihre Einstellungen für sich zu behalten, weil sie tendenziell das Gefühl haben, fremd und anders zu sein.
    Ich machte es genauso.
    Einziges Überbleibsel meiner religiös geprägten Kindheit und Jugend war die Bindung an meine Gemeinde in New Jersey. Aus irgendeinem Grund – der mir selbst nicht klar ist – hatte ich mich nie einer anderen angeschlossen. Dabei lebte ich in Michigan – fast tausend Kilometer entfernt.
    Ich hätte mir einen näheren Ort zum Beten suchen können.
    Stattdessen hielt ich an meinem alten Gemeindehaus fest. Jeden Herbst fuhr ich zu den hohen Feiertagen nach Hause und stand während des Gottesdienstes zwischen meinem Vater und meiner Mutter. Vielleicht war ich zu stur, um etwas an dieser Tradition zu verändern; vielleicht war es mir auch einfach nicht wichtig. Aber so kam es dazu, dass sich auch an einer anderen Sache nichts änderte: Vom Tag meiner Geburt an gab es nur einen einzigen Geistlichen, der mich betreute.
    Albert Lewis.
    Und er selbst betreute sein Leben lang nur eine einzige Gemeinde.
    Wir hatten uns beide fürs Leben gebunden.
    Das war auch die einzige Gemeinsamkeit zwischen uns – glaubte ich.

Henrys Leben

    Z ur selben Zeit, in der ich in einer Vorstadt groß wurde, wuchs in Brooklyn ein Junge heran, der ungefähr so alt war wie ich und der eines Tages ebenfalls mit seinem Glauben ringen würde. Doch sein Weg sah ganz anders aus.
    Als Kind teilte er sein Zimmer mit Ratten.
    Henry Covington war das zweitjüngste von sieben Kindern und lebte mit seinen Eltern, Willie und Wilma Covington, und den Geschwistern in einer winzigen Wohnung an der Warren Street. Die vier Brüder mussten sich ein Zimmer teilen, die drei Schwestern ein anderes.
    Die Küche war von Ratten bewohnt.
    Nachts stand ein Topf mit Reis auf dem Küchentisch, damit die Ratten sich daran gütlich tun konnten und die Schlafzimmer in Ruhe ließen. Tagsüber hielt Henrys älterer Bruder die Nager mit einer Luftpistole in Schach. Henry schlief immer
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