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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Studenten lesen können. Sie geben das nicht zu, aber Ihre übertriebene Begeisterung ist ein Indiz dafür. Übrigens, das Bild mit dem Löwen, »der auf grausame Weise ein Reh schlägt«, ist kein »Palästinenser-Symbol« (S.60), sondern vermutlich ein Kunststück aus der Omaijadenzeit, das man in Kassir Hischam gefunden hat. Dick tragen Sie auf, als Sie voller Begeisterung in Ihrem Notizbuch schreiben: »Es gibt hier keine Faulenzer. Anders als auf den viereckigen Universitäts-Höfen, die ich kenne. Hier wirken alle irgendwie entschlossen. Selbst während der Pause.« (S.63) Um Gottes willen, hat es nicht genügt, dass die Kolonialherren immer nur den fleißigen Araber gelobt haben, bis wir den uns bis dahin unbekannten Herzinfarkt importiert haben. Jetzt kommen Sie daher und wollen keine Faulenzer mehr gesehen haben. Gott sei Dank stimmt Ihre Aussage nicht.
    Durch diese Idealisierung werden Sie und diejenigen, die das glauben, sehr schnell enttäuscht, wenn Sie Araber kennen lernen. Diese Enttäuschung ist vorprogrammiert, weil das Bild der Palästinenser so nicht stimmen kann. Es ist viel komplizierter, ja so kompliziert wie das eines Juden. Sie sind mit Ihrem unbestritten humanistisch motivierten Gang viel näher an das Bild herangekommen, doch müssen Sie den Mut haben, den arabischen Nachbarn in seiner Hässlichkeit, Schönheit, wüstenweiten Geduld und winzigen Seele, in seiner Nachgiebigkeit und seinem Widerstand darzustellen. Ich fand es in den 224 Seiten nicht.
    Die Steinewerfer haben Sie nicht vorhersehen können. Das ist auch gar nicht Ihre Aufgabe gewesen. Diese Steine markieren eine Wende. Sie werden sehen, man wird eines Tages die palästinensische Geschichte in zwei Epochen teilen: die Zeit vor und die Zeit nach dem ersten Steinwurf im Dezember 1987. Die Steine zerstören eine doppelte Schicht, die das Bewusstsein beider Völker benebelte. Eine Schicht der Ohnmacht auf palästinensischer Seite und eine der Übermacht auf israelischer Seite. Vielleicht werden diese Steine beide Völker durch die Annäherung ihres Selbstvertrauens näher bringen. Die Steine machten die Gegenwart schmerzhaft breiter in unserem Bewusstsein. Sie fliegen gegen die Besatzung. Sie lassen augenblicklich jeden Dialog verstummen, doch sie fliegen gegen die Verstummung. Sie fliegen aber auch gegen die Unfähigkeit der älteren Generationen in beiden Lagern. Schon jetzt aber haben viele Araber und Israelis aus unserer Generation (35–45) entweder die Flucht nach vorne oder in die Erinnerung ergriffen. Weh- und übermütig werden die Araber – ängstlich steif und brüllend taub werden die Israelis. Wir müssen uns beeilen, bevor der gelbe Wind kommt, von dem Ihnen Abu Harb erzählt hat (S.80). Ich bin selbst Autor und mag es nicht, Metaphern auf eine Aussage festzunageln, aber so, wie er das erzählt hat, ist die Rede vom Atomkrieg.
    Es wird niemals einfach für einen Angehörigen der Siegermehrheit sein, sich auf die Seite der unterworfenen Minderheit zu schlagen. Ich lebe seit meiner Geburt in einer Minderheit. Die Orte wechseln, aber der Stand eines Außenseiters bleibt, daher rührt meine Achtung vor Ihnen, die mich dazu veranlasst, Sie aufzufordern: Haben Sie den Mut, den Israelis weiterhin zu sagen, es bleibt ihnen nichts übrig, als mit den Palästinensern zu leben, wie sie sind . Ein uraltes, stolzes und nachtragendes Volk. Eben wie die Juden. Ich verstehe Ihre Schmerzen,wenn Sie jeden Tag den Boten einer schlechten Nachricht (S.32) spielen müssen, weil Ihre Augen das sehen, was die anderen nicht sehen wollen, können oder dürfen. Wir müssen alles tun, um das Stück Gegenwart unter den Füßen beider Völker zu untermauern und auszubauen. Damit hätten die Steine ein Ziel erreicht, dass heute über das Jetzt miteinander gesprochen wird. Dies ist ein erstes Handeln im Sinne Camus’, den wir beide verehren. Ich wünsche Ihnen viel Mut und Geduld auf Ihrem Weg.
     
    Rafik Schami

WARUM ICH TROTZ ALLEM ESSAYS SCHREIBE
    Ich habe dir drei Arten von Menschen zurückgelassen,
    Arme, die nur hoffen, dass du reicher wirst,
    Ängstliche, die dir mehr Sicherheit wünschen,
    und Gefangene, die ihre Erlösung lediglich durch dich
    erhoffen.
    Al Mansur (712–775), 2. Kalif der Abbassiden,
    an seinen Sohn al Mahdi
     
    E in Roman liefert ein genaues Abbild davon, was den Erzähler und die Gesellschaft, in der er lebt, bewegt. Auch wenn Autoren die Handlung ihrer Geschichten ins Mittelalter oder in die ferne Zukunft verlagern,
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