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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Der Bauer zeigte keine Angst, obwohl er bestimmt Gott leise anflehte, den Teufel davor zurückzuhalten, einen Schuss auf ihn loszulassen. (Der Aberglaube sagt bei uns, dass der Teufel die Kugel löst, wenn sie einen Unschuldigen trifft. Ein weiser Aberglaube, finden Sie nicht?) Doch der Bauer würdigte den Soldaten keines Blickes. Sehen Sie, das ist auch derselbe Araber, der seine Steuer zahlt und Kummer um das Brot von morgen hat.
    Wollen Sie Ihrem Volk vom nahen, aber unbekannten Nachbarn erzählen, dann ersparen Sie ihm nichts aus der Gegenwart. Sagen Sie, dass die Araber nicht nur leiden. Sie singen, tanzen, arbeiten, lügen, fluchen, hassen, und vor allem lieben sie leidenschaftlich. Ein berühmter Dichter sagte einmal: Die Israelis besiegen uns vielleicht ein paar Mal auf dem Schlachtfeld, doch wir besiegen sie langfristig im Bett. Die anwesenden Araber lachten, ihres potenziellen Sieges sicher. Ich konnte nicht lachen, weil ich die Verbitterung darin spürte. Auch das Bett verwandelt sich zu einem Schlachtfeld nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen den Völkern.Nun soll keiner mit dem Finger auf den Dichter zeigen, dem andere Mittel geraubt wurden. Die Steine der Jugendlichen flogen u.a. deshalb, weil ihnen der Boden, auf dem sie stehen, samt ihrer Rechte unter den Füßen weggezogen wurde. Wenn aber alles in Palästina fehlt, so fehlen die Steine nicht. Das hat nicht einmal in den Bildern der israelischen Propaganda à la »vorher Steppe, nachher Paradies« gefehlt.
    Die Leute, die Sie treffen, besingen fast lyrisch ihre Dörfer, aus denen sie vertrieben wurden. Ja, wenn man Kinder (etwa im Kindergarten, den Sie besucht haben) fragt, woher sie kommen, nennen sie Orte, die sie nie gesehen haben, aber sie wissen genau, dass das Wasser, die Orangen, die Oliven und die Luft dort besser schmecken. So ist es immer, wenn die Gegenwart kein Zuhause bietet, verwandelt sich das staubigste Dorf der Vergangenheit zu einem Palast, bei dem Harun al Raschid blass vor Neid werden könnte.
    Sie stellen fest: »Die Palästinenser machen Gebrauch von der alten jüdischen Strategie des Exils. Sie haben sich aus der Geschichte zurückgezogen. Sie verschließen ihre Augen vor der Realität und bauen unverdrossen das verheißene Land auf.« (S. 11)
    Ich muss erst einen Verdacht loswerden, bevor ich mich zu dieser zentralen Aussage äußere: Viele Israelis nehmen auch in ihren kritischsten Augenblicken die Manier eines Siegers an. Sie bilden sich ein, sie seien tugendhaft und menschlich, wenn sie die Araber nicht hassen. Ein Sieger hat es aber nicht nötig, Hass und Wut gegen die Besiegten zu empfinden, doch die Humanisten in der Siegergesellschaft, zu denen ich Sie bedenkenlos zähle, müssen ihre Worte dreimal prüfen, ob sie nicht herablassend, mitleidvoll und entwürdigend sind. Viel zu schnell malen sie das Bild eines Besiegten, wie sie ihn gerne hätten. So in unserem Fall: Ein Araber sei stolz, großzügigund launisch. Kurz: ein Kind. Davon gibt es in der guten israelischen Literatur genug (Amos Oz). Nicht einmal für eine Überraschung wäre ein Araber gut; gelingt es ihm, den weltweit fast antisemitisch gelobten Schin Beit samt Elektronik und Kollaborateuren zu linken und zu überrumpeln, dann hört man sogar einen Professor sagen: »Das haben die gut von den Israelis gelernt.« Das zeigt nur das Unvermögen eines Siegers, die brodelnde Seele des Besiegten zu begreifen. Zu dieser allgemein gültigen Erfahrung kommt das Schuldgefühl der Israelis, wenn sie entdecken, dass das Land Palästina weder leer noch von Fliegen fressenden Messerstechern bewohnt war und ist. Ihr Buch ist durchtränkt von diesem Schuldgefühl. Doch mit Schuldgefühlen versperren Sie sich den Weg zur Wirklichkeit eines Arabers.
    Ich erinnere mich an einen Abend mit einem kritischen israelischen Mathematiker, der mich eine Nacht lang überzeugen wollte, dass nicht die Araber, sondern die Inder die arabische Null eingeführt haben. Am Anfang begriff ich nicht, was er wollte, denn ich wusste genau, dass die Araber die Null zur weltweiten Karriere gebracht haben. Mir wäre auch gleichgültig, ob sie oder die Eskimos die Null erfunden haben, doch aus der Fülle seiner Beweisversuche und Beispiele blieb der arabischen Kultur nur das Kamel und das unverdiente Glück, erst mit den Israelis zivilisiert worden zu sein. Dieses Gespräch habe ich im Herbst 1984 geführt. Es machte mich traurig, weil ich merkte, wie groß der Abgrund zwischen beiden
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