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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Autoren: Carl Hanser Verlag
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erzählen sie von sich und ihrer Zeit. Romane können die verborgene Struktur einer Gesellschaft, einer Seele oder eines komplexen Ereignisses glaubhaft und spannend darstellen. Sie können Leser in fremde Länder und ferne Zeiten entführen, können sie verzaubern und mit den Figuren fühlen lassen.
    Doch eines können Romane nicht so gut: auf aktuelle Anlässe reagieren. Alle Versuche, den Roman in den Dienst der Aktualität zu stellen, scheiterten kläglich. Welterschütternde Ereignisse lähmen eher die Arbeit an einem Roman.
    Seiner Natur nach unterhält das Erzählen im Augenblick und kann, wenn überhaupt, nur langfristig verändern. Alles andere gehört in die Abteilung »Kinderkrankheiten der Schriftstellerei«.
    Deshalb verabschiede ich mich bei politisch oder kulturelldringenden Anlässen von meinen Protagonisten. Immer höre ich die unsichtbaren Helden protestieren, ich würde sie auf der Stelle treten lassen, um einen Artikel zu schreiben, mit dem ich nichts erreichen, dafür aber Ärger bekommen würde.
    Als ich noch jung war, glaubte ich fest, dass ich mit einem vernichtenden Artikel den Sitz des Diktators zum Wanken bringe. Heute bin ich geheilt von dieser übertriebenen Phantasie, aber unsere Erde würde viel schlimmer aussehen, wenn niemand etwas gegen das Unrecht geschrieben hätte.
    Doch in einem haben die Figuren meiner Geschichten Recht. Drohungen und Beschimpfungen höre ich selten nach Erscheinen meiner Romane, sondern eher nach einem Essay. Extrem war das bei meinem Buch Mit fremden Augen . Ein halbes Jahr lang hörte ich Drohungen und Angriffe und erlebte die Aufkündigung mancher Pseudofreundschaft. Danach war die Lage klar wie nach einem Gewitter, weil sich Freund deutlich von Feind geschieden hatte.
    Ein Freund las damals das schmale Buch und wurde so unruhig, dass er mich noch spät in der Nacht anrief. Er lobte zuerst wortreich meinen Mut und fragte dann, ob ich keine Angst hätte, Taten und Täter so direkt zu nennen.
    Angst ist eine treue, aber hässliche Begleiterin meines Lebens. Wer wie ich bereits als Kind unter einer mörderischen Diktatur leben musste und als junger Mann gezwungen war, ein Doppelleben zwischen Untergrund und Beruf zu führen, den verlässt die Angst keinen Tag.
    Auch im Exil meldete sich die Angst, sobald ich mich von ihr befreit glaubte. Oppositionelle aus allen arabischen Ländern wurden und werden verfolgt und auch im Ausland gejagt, entführt und ermordet.
    Bei jeder Versöhnungsarbeit zwischen Israelis und Palästinensern wurden meine Freunde und ich des Verrats bezichtigt.Manche Andeutungen regimetreuer Syrer, Fundamentalisten oder extremer Nationalisten sollte ich als Drohung verstehen – und verstand sie auch so.
    Wer keine Angst kennt, ist nicht mutig, sondern schwachsinnig. Mut ist Angst haben und trotzdem das tun, wovon man überzeugt ist.
     
    Das tägliche Elend in meiner Stadt Damaskus zwang mich zu schreiben. Seit über 50 Jahren knechten ein paar Verbrecher ein ganzes Volk mit den Gesetzen eines Ausnahmezustandes. Sie ersticken eines der lebenslustigsten Völker der Erde, trennen es von der Welt, werfen es aus der Zivilisation, lassen es nicht mehr an der Politik teilhaben und rauben seine Kraft und seine Ressourcen. Eine Hydra von mehr als 14 Geheimdiensten verwaltet das Elend und zerstört täglich den Traum der Menschen von Freiheit und Würde. Die Infrastrukturen des Staates werden vernichtet und durch Sippennetze ersetzt, sodass das Land im selben Moment ins Chaos fällt, in dem die Diktatur stürzt.
    Ich teilte die Hoffnungen nicht, die viele Syrer im Jahre 2000 hatten, als der Sohn den Vater Assad beerbte. Man hat mir sturen Hass vorgeworfen, als ich trotzig erwiderte, ein Sohn, der eine Republik erbe, habe nicht vor, Demokratie gedeihen zu lassen. Heimlich hatte ich gehofft, ich würde mich irren und könnte doch bald meine geliebte Stadt wieder sehen.
    Die Hoffnungen, der Sohn würde das geerbte Regime reformieren, wurden damals vom Geheimdienst geschürt und von den Schreiberlingen der Macht hinausposaunt. Das hörte sich an, als würden sie alle auf einmal dem verstorbenen Assad in den Rücken fallen. Aber dem war nicht so. Es war für das Regime eine heikle Aufgabe: Zum ersten Mal in der Geschichte Arabiens sollte ein Sohn, der von Politik keine Ahnunghatte und sich in London nur mit Augenmedizin beschäftigt hatte, als Erbe des Vaters Präsident werden. Das war, auch für eine Diktatur, ein sehr komplizierter Schachzug, und dafür
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