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Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Titel: Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
Autoren: Samarkand
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sich gegen ihren Mann aufzulehnen. Der Monsieur hat jedenfalls seinen Kopf durchgesetzt, egal um welchen Preis. Madame hätte so sehr darunter gelitten, dass sie schwer krank wurde und nun, ja nun, halt so aussieht, wie sie aussieht.“
    Ich schwieg, um das von Sonja Erzählte zu verinnerlichen. Einige Dinge waren damit geklärt. Aber warum schaute Jacques mich nicht einmal an, warum so viel Bitternis in seinen Augen? Wir waren doch so etwas wie Verbündete. Mich hatte doch auch niemand gefragt. Eine letzte Chance ergreifend, um noch etwas zu erfahren, sprach ich diese Gedanken Sonja gegenüber aus. Sie hielt in ihren Bewegungen inne und schaute mich nachdenklich an. „Warte ab, kleines Fräulein“, sagte sie ungewöhnlich sanft. „Warte nur ab, es wird schon alles gut werden. Gib ihm etwas Zeit, sich an Dich zu gewöhnen. Wenn ihr erst einmal vermählt seid, werdet ihr unter einem Dach wohnen, Tisch und Bett teilen, denn einen Stammhalter wünscht sich doch jeder Mann.“
    Die Worte Sonjas beruhigten mich. Was hatte ich denn erwartet? Einen Ritter in schimmernder Rüstung, der mich stürmisch in seine Arme riss und beteuerte, mich, endlich mich gefunden zu haben, da ich die Einzige sei, die sein leidgeprüftes Herz erreichen konnte? Aber eine Frage brannte mir noch auf der Seele und verlangte nach einer Antwort. „Sonja, weißt Du, wo ich leben werde?“ Sie schaute verdutzt von ihrer Arbeit hoch und antwortete: „In Frankreich natürlich, in der Bretagne, dem uralten Stammsitz der Familie Kastell-Paol. Wo denn sonst?“
     
    Meine Gedanken sprangen wie wild durcheinander. Ich würde dieses Haus, diese Menschen, diese Stadt und dieses Leben für immer verlassen. Wie aufregend. Mit viel neuem Wissen ging ich zu Bett, um am nächsten Tag artig meine zukünftige neue Familie zu verabschieden, die weiterfuhr nach Reims, um dort weitere Geschäfte zu tätigen und um das neue Domizil von Madame und Monsieur Kastell-Paol zu beziehen.
    Und so wurde der Weg frei gemacht für die neue Madame Kastell-Paol . So dachte ich wenigstens. Mein Vater strahlte ob der Geschäfte, die an einem neuen Standort in Frankreich getätigt werden sollten und wieder musste ich an den meiner Familie bevorstehenden Ruin denken. Musste daran denken, dass ich der Preis dafür war, den Ruin abzuwehren. Mir sollte es egal sein. Ich freute mich auf mein neues Leben, konnte es doch nur besser und aufregender als das bisherige Leben sein. Mit diesen Gedanken nahm ich mir auch den unterkühlten Abschied der Familie Kastell-Paol nicht so zu Herzen, dachte ich doch nur zu gern an die gestrigen Worte von Sonja. Und in einem Jahr, so ward es zwischen den Familien abgesprochen, sollte die Vermählung von Jacques und mir stattfinden.
     
    Das darauffolgende Jahr verlief in den für mich gewohnten Bahnen. Meine Großmutter väterlicherseits verstarb einen Monat nach dem Besuch der Familie Kastell-Paol. Man konnte auch an diesem Geschehnis keine Veränderung in unserem großen kalten Haus feststellen. Bei uns zuhause wurde nicht geweint und nicht getrauert. Einzig und allein wurden wir durch unsere schwarze Kleidung an ihren Tod erinnert.
    Meine sonstige Garderobe wurde runderneuert. Es wurde an nichts gespart, die Geschäfte zwischen meinem Vater und zukünftigem Schwiegervater mussten ausgezeichnet laufen. Von einem bevorstehenden finanziellen Ruin war nichts mehr zu spüren.
    Meine Eltern sah ich sehr selten, meinen Großvater väterlicherseits gar nicht mehr und von den Eltern meiner Mutter erhielt ich die Glückwünsche zu meiner bevorstehenden Hochzeit erst am Weihnachtsfest. Es war mir egal. Sie alle waren immer Fremde für mich gewesen und würden es auch weiterhin sein.
    So traf es mich auch nicht besonders, als wir im Februar des Jahres 1860, im Jahr meiner Vermählung mit Jacques, die Nachricht erhielten, dass meine Großmutter mütterlicherseits plötzlich an Herzversagen verstorben war und schon einen Monat später ihr Mann ihr gefolgt sei. Nichts hatte am vergangenen Weihnachtsfest darauf hingewiesen, dass sie kränkelten. Niemand hatte mir etwas gesagt. Warum auch? Meiner Mutter merkte ich auch nichts an. Wieso auch? Wenn ich sie mit ihren Eltern zusammen gesehen hatte, war es genau so ein Verhältnis wie zwischen uns. Und es war für mich so in Ordnung. Ich kannte es ja nicht anders. Meinem Vater merkte ich sowieso nichts an, war doch der Tod seiner eigenen Mutter für ihn nur ein Anlass gewesen, am gleichen Abend noch in ein Freudenhaus zu
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