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Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)

Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)

Titel: Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)
Autoren: Jim C. Hines
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mit Kreidegekritzel überzogen. Monatelang schon beobachtete Schnee, wie Danielle jedes Mal, wenn sie hier herunterkam, gegen den Drang ankämpfte, die Bibliothek von oben bis unten sauber zu scheuern.
    Schnee zog sich den Umhang über die Schultern und ließ sich vorsichtig auf dem Holzstuhl vor dem alten, fleckenübersäten Tisch nieder. Im Spiegel saß König Theodore neben der Königin und hielt ihre Hand. Seine Augen waren gerändert und glänzten von Tränen, aber für seine Frau hatte er sich ein Lächeln abgerungen. Auf der anderen Seite des Betts saßen Danielle und Prinz Armand, wohingegen Talia in der Zimmerecke stand. Es sah so aus, als hätte Tymalous, der königliche Heiler, sich bereits aus dem Raum zurückgezogen.
    Schnee war sich nicht sicher, ob Beatrice die Menschen im Zimmer überhaupt noch sehen konnte. Sie war vom Hals an abwärts unter schweren Decken begraben, die das schwache Heben und Senken ihrer Brust fast verbargen. Ihre Haut sah aus wie zerknittertes Pergament. Ihr Haar war schütter geworden und ihr Körper kaum mehr als ein Schatten der Frau, die Schnee vor sieben Jahren aus Allesandria gerettet hatte.
    Bei Schnees ganzem Planen während dieser letzten Monate war es ihre große Angst gewesen, dass sie es nicht rechtzeitig schaffte. Dass Bea plötzlich sterben würde, bevor Schnee den Spiegel erreichen konnte.
    Schnee drehte sich so zur Seite, dass sie den Spiegel am Rand ihres Gesichtsfelds behielt. Auf ihrem Tisch stand eine einzelne, dicke Bienenwachskerze, die von der Kälte schmutzig gelb und spröde war, daneben ein Bronzekrug, halb gefüllt mit Elfenwein. Sie nahm die Kerze in beide Hände und überprüfte den Silberdocht, der sich aus dem Wachs ringelte.
    Ein schneller Zauberspruch entzündete die Kerze. Sie rümpfte die Nase, als der erste Rauch einen beißenden Gestank durch die Bibliothek trug. Sie hatte Beatrices Haare vor mehr als einem Monat in den Docht gesponnen.
    Ein Atemstoß dirigierte den Rauch auf den Spiegel zu. »Spiegel, Spiegel, an der Wand, der du alles siehst im Land. Hilf mir, die sterbende Königin zu erreichen. Hindre sie daran, meinem Ruf auszuweichen.«
    Talia hätte sie aufgezogen. Schnee war nie eine gute Verseschmiedin gewesen, aber selbst die unbeholfenen Reime halfen ihr, ihre Zauberkraft zu bündeln. Sie blies noch einmal, und wieder zerteilte sich der schwarze Rauch am Glas. Schnee schloss die Augen und drängte das Pochen in ihrem Kopf zurück. Als sie es zum dritten Mal versuchte, zog der Rauch durch den Spiegel ins Zimmer der Königin.
    Vorsichtig stellte Schnee die Kerze wieder auf den Tisch. Sie beobachtete den Spiegel scharf. Der Gestank nach verbrannten Haaren hatte sich größtenteils verzogen, und weder der König noch die Königin schienen die dünne Rauchfahne zu bemerken, die über ihren Köpfen schwebte.
    Sie griff nach dem Weinkrug und gab dem Inhalt mit drei Schlucken den Rest. Alles war vorbereitet – jetzt konnte man nur noch warten.
    Die Kerze hatte ein Viertel ihrer Länge eingebüßt, als Beatrices Atmung sich veränderte und angestrengt wurde. Theodores Finger um die Hand der Königin spannten sich an. Er küsste ihre Knöchel und kniete neben ihr nieder und flüsterte ihr so leise zu, dass Schnee es kaum hören konnte. Danielle, Armand und Talia drängten sich um die andere Seite des Bettes. Armands Wangen waren nass, als er die freie Hand auf die Schulter seines Vaters legte. Danielle rief nach Vater Isaac, der leise betend den Raum betrat.
    Schnee wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. Zwischen einem Atemzug und dem nächsten schien Beatrices Körper sich zu entspannen. Zum ersten Mal seit Monaten wich die Anspannung aus ihrem Gesicht.
    Die Kerzenflamme flackerte höher und färbte sich tiefrot. Schnee legte die Finger auf den Spiegel. Der Schmerz in ihrem Schädel loderte auf, als ihre Zauber auf den Tod der Königin ansprachen. »Folge der Rauchfahne, Bea.«
    Der Rauch, der in dem abgedunkelten Raum fast unsichtbar war, müsste für Königin Beas Geist wie ein Signalfeuer leuchten. Schnee hatte den Zauber über die letzten Monate Dutzende Male getestet, indem sie die Seelen von Mäusen, Ratten, Vögeln und einmal sogar von einem alten Hund, den sie halb erfroren auf der Straße gefunden hatte, gerufen hatte … aber noch nie bei einem Menschen.
    Die Flamme begann zu zittern: Bea hatte die Rauchfahne entdeckt. »Ich bin’s«, flüsterte Schnee. »Bleib bei uns!«
    Für den Augenblick würde der
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