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Daemmerung der Leidenschaft

Daemmerung der Leidenschaft

Titel: Daemmerung der Leidenschaft
Autoren: Linda Howard
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zum Reiten mitzunehmen ... obwohl er dann meistens ungeduldig wurde, denn man erlaubte ihr nur, ihr altes, lahmes Pony zu benutzen. Seit einiger Zeit jedoch wollte Webb überhaupt nichts mehr mit ihr machen; er wäre zu beschäftigt mit anderen Dingen, sagte er, aber er schien eine Unmenge Zeit für Jessie zu haben. Das war der Grund, warum sie sich am Ostersonntag auf Thunderbolt geschwungen hatte, um ihrem Daddy zu zeigen, daß sie alt genug für ein richtiges Pferd war.
    Roanna sah zu, wie Webb und Jessie händchenhaltend zur Schaukel marschierten. Webb war im letzten Jahr ganz schön gewachsen; Jessie sah richtig klein aus, wie sie so neben ihm saß. Er spielte jetzt Football, und seine Schultern waren doppelt so breit wie Jessies. Großmutter, so hatte sie eine der Tanten sagen hören, sei ganz hingerissen von dem Jungen. Webb und seine Mama, Tante Yvonne, wohnten hier auf Davenport bei Großmutter, weil Webbs Daddy auch nicht mehr lebte.
    Webb hieß Tallant, nach der großmütterlichen Seite der Familie; sie war seine Großtante. Trotz ihrer sieben Jahre kannte Roanna all die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse in- und auswendig, hatte sie praktisch mit der Muttermilch aufgesogen und wurde nicht müde, den Erwachsenen zuzuhören, wie sie über die Familie sprachen. Großmutter stammte aus der Familie der Tallants und wurde durch ihre Hochzeit eine Davenport. Webbs Großvater, der ebenfalls Webb hieß, war Großmutters Lieblingsbruder gewesen. Sie hatte ihn ganz toll liebgehabt, so wie sie auch dessen Sohn liebgehabt hatte, der Webbs Vater gewesen war. Jetzt gab es nur noch Webb, und sie tat auch für ihn einfach alles.
    Webb war Roannas Cousin zweiten Grades, Jessie dagegen eine Cousine ersten Grades, also viel enger mit ihr verwandt. Roanna wünschte, es wäre andersherum, denn sie zog Webb Jessie unbedingt vor. Cousins und Cousinen zweiten Grades waren nichts weiter als Bussi-Verwandte, das hatte Tante Gloria jedenfalls mal gesagt. Diese Äußerung fand Roanna so interessant, daß sie beim nächsten Familientreffen ganz genau aufgepaßt hatte, wer wen küßte, damit sie nachher wußte, wer ein echter Verwandter war und wer nicht. Jedenfalls küßten sich die Verwandten, die sich nur einmal im Jahr bei besonderen Gelegenheiten sahen, am meisten. Da fühlte sie sich gleich besser. Sie sah Webb die ganze Zeit, und er küßte sie nicht, also waren sie enger miteinander verwandt als bloße Bussi-Verwandte.
    »Macht euch nicht lächerlich«, unterbrach Großmutter soeben mit scharfer Stimme die leise Diskussion darüber, wer nun am Ende Roanna auf dem Hals haben würde, und lenkte Roannas Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch zurück, das sie belauschte. »Jessie und Roanna sind beide Davenports. Sie werden natürlich hier aufwachsen.«
    Auf Davenport bleiben! Roanna war hin- und hergerissen zwischen Schrecken und Erleicherung. Erleichterung darüber, daß sie am Ende doch jemand wollte und sie nicht ins Waisenhaus mußte, wie Jessie behauptet hatte. Den anderen Schrecken dagegen verursachte die Aussicht, den ganzen Tag, ein Leben lang, unter der strengen Fuchtel ihrer Großmutter verbringen zu müssen. Roanna liebte ihre Granny, aber sie hatte auch ein wenig Angst vor ihr, denn sie entsprach niemals ganz ihren hohen Erwartungen. Immer machte sie sich irgendwie schmutzig, zerriß ihre Röcke oder zerbrach etwas. Das Essen fiel ihr häufig von der Gabel und auf den Schoß; manchmal vergaß sie auch aufzupassen, wenn sie nach ihrer Milch langte, und stieß das Glas um. Jessie sagte, sie wäre ein ungeschickter Trampel.
    Roanna seufzte. Sie kam sich selber so linkisch vor, war oft nervös und fahrig unter Großmutters Adlerauge. Nur wenn sie auf einem Pferd saß, fühlte sie sich sicher. Zugegeben, sie war von Thunderbolt runtergefallen; aber das lag nur daran, daß sie bisher ihr kleines Pony ritt, und Thunderbolt war viel zu breit um die Mitte für ihre Beinchen. Normalerweise jedoch klebte sie im Sattel wie eine Klette – das behauptete Loyal jedenfalls immer, der sich um Großmutters Pferde kümmerte, also mußte er es ja wissen. Roanna liebte das Reiten fast ebensosehr, wie sie ihre Mama und ihren Daddy geliebt hatte. Mit ihrem Oberkörper flog sie dann dahin, während sie mit den Beinen die Kraft und Muskeln des Pferdes spürte, ganz als ob sie selbst so stark wäre. Das gehörte zu den guten Dingen, die das Leben bei Großmutter mit sich brachte; sie konnte jeden Tag reiten, und Loyal würde ihr
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