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Daddy Langbein

Daddy Langbein

Titel: Daddy Langbein
Autoren: Jean Webster
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Angst, er würde es in der Zukunft bereuen — und das könnte ich nicht aushalten! Es schien mir nicht richtig für eine Person mit meinem Mangel an Vorfahren, in eine Familie wie die seinige einzuheiraten. Ich habe ihm nie vom Waisenhaus erzählt, und es wäre mir gräßlich, ihm zu erzählen, daß ich nicht weiß, wer ich bin. Weißt Du, ich könnte ja fürchterlich sein. Und seine Familie ist stolz — und ich bin auch stolz!
    Außerdem fühlte ich mich Dir irgendwie verbunden. Nachdem ich ausgebildet wurde, um ein Schriftsteller zu werden, muß ich wenigstens versuchen, einer zu sein; es wäre doch nicht fair, Deine Ausbildung anzunehmen und dann fortzulaufen und sie nicht zu verwenden. Aber jetzt, wo ich weiß, daß ich imstande sein werde, das Geld zurückzuzahlen, habe ich das Gefühl, daß ich die Schuld zum Teil abgetragen habe — und außerdem nehme ich an, daß ich auch ein Schriftsteller bleiben könnte, selbst wenn ich heirate. Die beiden Berufe schließen sich nicht notwendigerweise aus.
    Ich habe schwer darüber nachgedacht. Er ist zwar ein Sozialist und hat unkonventionelle Ideen;
    vielleicht hätte er nicht so viel dagegen, ins Proletariat zu heiraten wie viele Männer. Vielleicht sollten zwei Leute, wenn sie immer einig sind, und
    — wenn zusammen — immer glücklich, und — wenn getrennt — immer einsam, nichts in der Welt zwischen sich kommen lassen. Natürlich möchte ich das glauben! Aber ich möchte Dein sachliches (von Gefühlen unbeeinflußtes) Urteil haben. Du gehörst wahrscheinlich auch einer FAMILIE an und wirst es von einem welterfahrenen Standpunkt aus ansehen und nicht nur von einem sympathisierenden menschlichen Standpunkt. — Du siehst also, wie tapfer ich bin, daß ich es Dir unterbreite.
    Angenommen, ich gehe zu ihm und sage ihm, daß die Schwierigkeit nicht Jimmie ist, sondern das John-Grier-Heim — wäre das unmöglich? Es würde sehr viel Mut erfordern. Ich würde fast lieber für den Rest meines Lebens unglücklich sein.
    Das ganze hat sich schon vor fast zwei Monaten ereignet; ich habe kein Wort von ihm gehört, seit er hier war. Ich war schon im Begriff, mich an das Gefühl eines gebrochenen Herzens zu gewöhnen, als ein Brief von Julia kam, der mich wieder aufrührte. Sie schrieb — ganz nebenher — daß „Onkel Jervie“ auf der Jagd in Kanada eine ganze Nacht lang in einem Gewitter war, und daß er seitdem mit Lungenentzündung krank ist. Und ich habe es nicht gewußt. Ich war gekränkt, weil er ohne ein Wort einfach ins Nichts verschwand. Ich glaube, er ist recht unglücklich. Und, daß ich es bin, ist sicher! Was soll ich tun?
    Judy.

6. Oktober.

    Liebster Daddy-Langbein!

    Ja, gewiß werde ich kommen, um halb vier Uhr nächsten Mittwoch . Natürlich kann ich mich zurechtfinden. Ich war dreimal in New York und bin kein Baby mehr. Ich kann nicht glauben, daß ich Dich wirklich sehen werde — ich habe Dich so lange gedacht, daß es mir gar nicht vorkommt, als seist Du ein greifbarer Mensch aus Fleisch und Blut.
    Es ist furchtbar lieb, Daddy, daß Du Dich mit mir abgibst, obwohl Du Dich nicht wohl fühlst. Paß auf, daß Du Dich nicht erkältest. Diese Herbstregen sind sehr feucht.
    Herzliche Grüße
    Judy.
    P.S. Ich hatte eben einen furchtbaren Gedanken.
    Hast Du einen Majordomo? Ich habe Angst vor Majordomos, und wenn einer die Tür aufmacht, werde ich auf der Treppe in Ohnmacht fallen. Was soll ich ihm sagen? Du hast mir Deinen Namen nicht gesagt. Soll ich nach Mr. Smith fragen?

Donnerstag morgen .

    Mein allerliebster Master-Jervie-Daddy-Langbein-Pendleton- Smith!

    Hast Du heute nacht geschlafen? Ich nicht. Nicht einen Augenblick. Ich war zu erstaunt und aufgeregt und verwirrt und glücklich. Ich glaube, ich werde nie mehr schlafen — und auch nicht essen. Aber ich hoffe, daß Du geschlafen hast; das mußt Du ja, denn dann wirst Du schneller gesund und kannst zu mir kommen.
    Lieber Mann, ich kann gar nicht daran denken, wie krank Du warst — und die ganze Zeit habe ich nichts davon gewußt. Als der Arzt gestern mit mir herunterkam, um mich an den Wagen zu begleiten, sagte er, daß sie Dich drei Tage lang aufgegeben hatten. Oh, Liebster, wenn das passiert wäre, dann wäre für mich alles Licht der Welt verschwunden. Einmal — in einer fernen Zukunft — wird ja wohl einer von uns den anderen verlassen müssen; aber wenigstens werden wir unser Glück gehabt haben und von Erinnerungen leben können.
    Ich wollte Dich aufheitern, und statt dessen muß ich
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