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Daddy Langbein

Daddy Langbein

Titel: Daddy Langbein
Autoren: Jean Webster
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verloren? Weißt Du denn nicht, daß Du einem Mädchen nicht siebzehn Weihnachtsgeschenke machen sollst? Bitte, denke daran, daß ich ein Sozialist bin; willst Du mich in einen Plutokraten verwandeln?
    Stell Dir vor, wie peinlich es wäre, wenn wir je streiten würden! Ich müßte einen Möbelwagen mieten, um alle Deine Geschenke zurückzugeben.

    Es tut mir leid, daß die Krawatte, die ich schickte, so knollig war; ich habe sie eigenhändig gestrickt (wie Du zweifellos aus ihrer Rückseite geschlossen hast). Du wirst sie an kalten Tagen tragen und Deinen Mantel zugeköpft lassen müssen.
    Ich danke Dir, Daddy, tausendmal. Ich finde, Du bist der reizendste Mann, der je gelebt hat — und der törichteste!
    Judy.

    Hier ist ein vierblätteriges Kleeblatt aus dem Camp McBride, das Dir zum neuen Jahr viel Glück bringen soll.

9. Januar.

    Willst Du etwas tun, Daddy, was Dein ewiges Seelenheil sichert? Hier ist eine Familie in einer verzweifelten Lage. Eine Mutter und ein Vater und vier sichtbare Kinder — die zwei älteren Buben sind in die Welt verschwunden, um ein Vermögen zu verdienen, und haben nichts davon zurückgeschickt. Der Vater hat in einer Glasfabrik gearbeitet und hat die Schwindsucht bekommen — das ist eine sehr ungesunde Arbeit —, jetzt liegt er im Krankenhaus. Das hat ihr ganzes Spargeld aufgebraucht, und nun muß die älteste Tochter die ganze Familie erhalten. Sie ist vierundzwanzig. Am Tage schneidert sie für 1,50 Dollar pro Tag (wenn sie es bekommt), und abends strickt sie Tischdecken. Die Mutter ist nicht sehr kräftig und äußerst untüchtig und fromm. Sie sitzt mit gefalteten Händen, ein Bild geduldiger Ergebenheit, während die Tochter sich mit Überarbeitung, Verantwortung und Sorgen umbringt. Sie weiß nicht, wie sie den Rest des Winters überstehen sollen, — und ich auch nicht. Einhundert Dollar würden genügen, etwas Kohlen zu kaufen und Schuhe für die Kinder, damit sie in die Schule gehen können, und es bliebe eine kleine Reserve, so daß sie sich nicht zu Tode sorgen muß, wenn einmal ein paar Tage vergehen, ohne daß sie Arbeit bekommt.
    Du bist der reichste Manu, den ich kenne. Glaubst Du nicht, daß Du hundert Dollar entbehren könntest? Das Mädchen verdient eine Hilfe viel mehr, als ich sie je verdiente. Ich erbitte es nur für das Mädchen; es ist mir einerlei, was aus der Mutter wird. — Sie ist so eine Qualle.
    Wenn die Leute ewig die Augen zum Himmel rollen und sagen „Vielleicht ist alles zum besten“, obwohl sie ganz sicher sind, daß es das nicht ist — das macht mich wütend. Demut oder Resignation, oder was immer man sie nennen will, ist einfach impotente Trägheit. Ich bin für eine streitbarere Religion!
    Wir haben die fürchterlichsten Kollegs in Philosophie — auf morgen den ganzen Schopenhauer. Der Professor scheint sich nicht klarzumachen, daß wir noch andere Fächer haben. Er ist ein komischer alter Kauz; er läuft herum und hat den Kopf in den Wolken, und wenn er einmal auf feste Erde trifft, blinzelt er wie betäubt. Er versucht, seine Vorlesungen durch einen gelegentlichen Witz aufzuheitern, und wir geben uns die größte Mühe, zu lächeln. Aber ich versichere Dir, seine Witze sind nicht zum Lachen. Seine ganze freie Zeit beschäftigt er sich mit dem Versuch, sich auszudenken, ob die Materie wirklich existiert oder ob er nur glaubt, daß sie existiert.
    Ich bin sicher, daß mein Nähmädchen nicht daran zweifelt, daß sie existiert!
    Wo glaubst Du, daß mein neuer Roman ist? Im Papierkorb. Ich sehe selbst ein, daß er gar nichts taugt, und wenn ein liebender Verfasser das schon erkennt, wie würde dann erst das Urteil eines kritischen Publikums sein?

    Später.

    Ich schreibe Dir, Daddy, von einem Schmerzenslager. Seit zwei Tagen liege ich mit geschwollenen Mandeln; ich kann nur heiße Milch schlucken und sonst nichts. „Was haben Ihre Eltern denn gedacht, daß sie diese Mandeln nicht herausnehmen ließen, als sie ein kleines Kind waren?“ wollte der Arzt wissen. Da habe ich nun wirklich keine Ahnung, aber ich bezweifle, ob sie in bezug auf mich überhaupt viel dachten.
    Deine
    J. A.

    Nächsten Morgen.

    Ich habe dies vor dem Zukleben noch einmal durchgelesen. Ich weiß nicht, warum ich eine so neblige Atmophäre über das Leben lege. Ich will Dir nur schnell versichern, daß ich jung und glücklich und überschäumend bin, und ich hoffe, dasselbe gilt für Dich. Jugend hat nichts mit Geburtstagen zu tun, nur mit dem Lebendigsein des Gemüts;
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