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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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er nichts, nur ein Bergarbeiter, noch dazu einer ohne Lehre, einer, der sich die Hände schmutzig macht, einer, der nichts im Kopf hat. Dabei hatte er durchaus etwas im Kopf, aber noch mehr hatte er im Herzen, denn nachdem er seine Rebellion sein gelassen und sich aufs Malochen verlegt hatte, gab es in seiner freien Zeit nur eine Herausforderung für ihn: eine Frau kennenzulernen, und zwar eine, die ihn schätzt, als Mensch und als Mann, als einen, der zupackt, und einen, der entscheidet, und keine, die auf ihn herabsieht, die ihn herumkommandiert und die ihn erzieht.
    Er hat es Lisbeth nie erzählt, aber ihre Eltern hatten ihm Geld geboten, als ihnen gewahr wurde, dass es ihrer Tochter ernst war mit dem Bergknecht, mit dem Hilfsarbeiter, mit dem vaterlosen Jungen, der Monate seines Lebens damit vertan hatte, nicht zur Schule zu gehen und stattdessen Zigaretten zu klauen. Er hat es ihr nie erzählt, weil sie ihre Eltern liebte und weil sie zu naiv war, um zu erkennen, dass für ihren Vater und ihre Mutter nicht der Mensch zählte, sondern der Stand – ausgerechnet im Ruhrgebiet, diesem bis auf die Grundmauern zerbombten Land, in dem alle mit dem Wiederaufbau beschäftigt waren, in dem alle so solidarisch, so gewerkschaftlich waren. Vorgeblich.
    Schmidtchen war schon früh enttäuscht vom Kapital und von der Globalisierung, von denen da oben, die erst davon gesprochen hatten, es gebe nicht genug Kohle, die deshalb Männer eingestellt und Subventionen eingestrichen hatten und die dann, mit einem Mal, die Schutzzölle abschafften, die bislang das Erdöl belegt hatten, und die einfach die Zechen dichtmachten, die dem kleinen Mann Auskommen und Wohlstand verschafften. Er war in der Gewerkschaft, ist auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Aber es hatte nichts genützt.
    Ende der Sechziger sollte Schmidtchens Zeche stillgelegt werden, die ihn zum Mann gemacht und zu seiner Lisbeth gebracht hatte. Petra war inzwischen geboren, ein Wunschkind, sechs Jahre hatte es gedauert, bis Lisbeth schwanger geworden war, sie hatten die Hoffnung schon aufgegeben, Schmidtchen hatte gehadert, hatte an sich gezweifelt, an seiner Kraft, an seiner Männlichkeit, da kündigte sich der Nachwuchs an. Sie waren außer sich vor Freude. Lisbeth, die bislang als Verkäuferin gearbeitet hatte, blieb fortan zu Hause und kümmerte sich um das Kind, um den Balkonhasen und die Kartoffeln im Schrebergarten.
    «Mannichmal, wenn et windstill war, konnteße kaum atmen», sagt Schmidtchen und rückt sich im Sessel zurecht. «Dann hattat hier gestunken, dat konnteße richtich auffe Zunge schmecken. Vonne Kokereien und vom Bier und vonne Feuerkes, die se im Garten gemacht haben. Fingerdick lag der Ruß auffe Fensterbank.»
    Gemeinsam bangten sie, dass die Zeche bestehen bleibe, denn was sollte sonst werden, Rudolf hatte nichts anderes gelernt, und ganz davon abgesehen: Er wäre eingegangen wie eine Primel, hätte er woanders arbeiten müssen, im Straßenbau oder gar im Verkauf, er, der zwar beflissen und reinlich, aber auch ein bisschen verstockt und wortkarg war – die Rebellion war ihm niemals ganz abhandengekommen.
    Die dräuende Schließung, die Politik, all das entmutigte ihn. Die deutsche Kohle: zu teuer. Der deutsche Bergmann: ein Proletarier, hoch subventioniert. In diesen unsicheren Zeiten erwischte sie ihn wieder, die Verunsicherung, die ihn als Jugendlichen von der Schule und in die Torheit getrieben hatte. Was wäre nur gewesen, hätte er in dieser Zeit Lisbeth nicht gehabt – Lisbeth hatte immer zu ihm gehalten, hat ihm erst Eintopf gekocht und ihm dann beim Essen gut zugeredet, nachdem er Löffel um Löffel gierig in sich hineingeschoben hatte und sie noch bei Tisch saßen; hat ihm das Gefühl gegeben, der Größte zu sein, der Beste und der Einzige, der Held ihrer Träume, ein Tausendsassa, dabei war er sich nicht einmal sicher, ob er wirklich der Einzige war, schließlich war er zwölf Stunden am Tag nicht zu Hause, aber was sollte er machen, er musste es glauben. Lisbeth, seine Lisbeth – immer war sie für ihn da gewesen, hat ihm die Brote geschmiert und die Hemden gebügelt, hat ihn, wenn’s um den Rücken schlecht bestellt war, mit Franzbranntwein eingeschmiert, hat ihm abends im Bett die kärglich behaarte Brust gekrault und sich ihm hingegeben, mit solch einer Wonne, dass er beim ersten Mal dachte, er habe sie gemeinsam mit seinem Pipps in die Ohnmacht getrieben – bis sie schließlich die Augen öffnete und einen tiefen
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