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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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es. Aber mal ehrlich: Was soll das sein da draußen? Handball ist es nicht! Wo ist der Spaß? Rosi, Kinga – die Führungsspielerinnen. Ihr müsst das Spiel in die Hand nehmen. Wo sind die ganzen Spielzüge? Links ohne, rechts ohne, auflösen an den Kreis oder mal ’ne Tasche – habt ihr nicht einmal gespielt. Und du, Lucy? Warum läufst du nicht mal ein? Da kommen die Gegnerinnen doch nicht mit klar. Die haben keine Zuordnung. Ihr müsst euch nur mal ohne Ball bewegen! Und vor allem schnell! Schnelle Mitte! Schnelle zweite Welle! Schnell in die Lücken! Schnell, schnell, schnell! Wenn ich euch übers Feld traben sehe – da ist meine Großmutter in Bischkek schneller! Auf einem Esel!»
    Doch seine Ansprache hilft nichts. Wir schaffen es einfach nicht, uns abzusetzen. Schrittfehler reiht sich an Fehlpass reiht sich an Fehlwurf reiht sich an Stürmerfoul. Der Gegner dagegen: schwerfällig, aber solide, spielt sich Chancen heraus und macht die Tore. Es ist die 58 . Minute, als wir erstmals mit zwei Toren in Rückstand geraten: 22 : 24 , noch drei Minuten.
    «Alle nach vorne! Wir spielen offen», ruft Iosif. «Offen! Alle!»
    Wir verlassen den Abwehrverband, nun geht’s Spielerin gegen Spielerin, offene Manndeckung. Doch die Gegnerinnen lassen sich nicht beunruhigen, passen sich den Ball zu, wenn auch mit wenig Drang zum Tor.
    «Passiv! Schiri!» Das ist Bunke, der von der Tribüne ruft.
    «Die wollen doch gar nicht!» Der kleine Mörtel.
    Da passt Kinga nicht auf, die Gegnerin entwischt ihr, läuft frei aufs Tor zu, Wurf, Alina hält mit einer Parade vom anderen Stern, doch Rosi kriegt den Abpraller nicht, noch ein Wurf, 22 : 25 . Die Uhr zeigt 59 : 01 an. Das Spiel ist gelaufen. Wir haben verloren. Wir bleiben Zweiter. Kein Aufstieg. Keine Feier.
    Mit der Schlusssirene tanzen die Gegnerinnen durch die Halle, hüpfen im Kreis umeinander, reißen die Arme hoch, machen eine La Ola vorm mitgereisten Fanblock. Wir stehen da, können es nicht fassen. Kinga reißt sich ihren Ellbogenschoner vom Arm und schleudert ihn hinter die Bank. Schnecke tritt gegen eine Wasserflasche, Iosif dreht sich um und verschwindet wortlos im Kabinengang.
    Das Publikum: ebenfalls geschockt. Die Ersten stehen auf, stehen ratlos herum, wollen nicht einfach gehen, es gibt aber auch nichts zu bejubeln. Doch dann: die ersten zarten Klatscher. Willi und Bunke entrollen ein Bettlaken, auf dem steht: «Danke für die tolle Saison, Mädels!» Als hätten sie gewusst, dass es universal einsetzbar sein muss, als hätten sie mit einer Niederlage gerechnet.
    Schnecke, Kinga, Katrin, Alina, ich und die anderen – wir fassen uns an den Händen und gehen zur Tribüne, verbeugen uns einmal, ohne Freude, ohne Schwung. Die 1 . Herren klatscht, Thorsten und Mareike klatschen, Mutter klatscht, Melanie klatscht.
    Ich gehe zu Mutter. «Darf ich dir vorstellen?», sage ich und deute auf Thorsten. «Das ist Thorsten, mein neuer Freund.»
    Meine Mutter schlägt die Hände vor den Mund, stammelt: «Dein Freund?», besinnt sich dann aber und reicht Thorsten die Rechte. Und dann, als käme anderes in Frage: «Ich bin die Mutter von der Nessy.»
    «Thorsten», sagt Thorsten. «Freut mich, Sie kennenzulernen. Darf ich Ihnen meine Tochter vorstellen: Das ist Mareike.»
    Er legt eine Hand auf ihren Rücken und schiebt sie vor zu meiner Mutter. Mareike kaut Kaugummi und sagt: «Tach.»
    Mutter sieht mich an. «Das ist aber jetzt eine Überraschung», sagt sie und klingt dabei eher erfreut als vorwurfsvoll.
    «Gewöhnze dich dran», sage ich.
    «Wo hast du den jungen Mann denn kennengelernt?»
    «Auf der Arbeit.»
    «Na so was», sagt Mutter, und ich weiß, dass sie in diesem Moment eine tiefe Genugtuung darüber empfindet, dass ihre Prophezeiung eingetreten ist. «Dann geh mal duschen. Ich kann mich ja in der Zeit mit ähm …
    «Thorsten.»
    «… mit Herrn Thorsten bekannt machen.»

    «Deine Mutter ist sehr nett.»
    «Ja, ist sie.»
    «Sie hat uns für nächste Woche zum Kaffeetrinken eingeladen.»
    «Und? Hast du angenommen?»
    «Klar. Sie will Nusskuchen backen. Oder Birne. Das wusste sie noch nicht.»
    «Was das angeht, ist sie manchmal uneins mit sich.»
    «Und jetzt? Zum See?»
    «Ist der offen?»
    «Seit Freitag.»
    «Oh ja. Gerne.»

    Wir stellen die Sporttasche zu Hause ab und gehen zum See. Fast vollgelaufen, liegt er in seiner Grube, Hunderte von Menschen spazieren um ihn herum, über Wege mit feinem Schotter. Sie sind nun freigegeben, aber die Bauzäune stehen
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