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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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Kopp haben. Von mir hasse nix zu befürchten.»
    Ich lächle und murmle: «Danke, das ist sehr freundlich», blicke noch einmal auf Zehenspitzen aus dem Fenster und über die Dächer von Dortmund hinweg. In kleinen Quadraten reihen sich Mehrfamilienhäuser aneinander, mit Balkonen, ohne Balkone, in Hellbraun, Dunkelbraun und verblichenem Schwarz. In der Nachbarschaft kräht ein Hahn.
    «Dat is dat Viech vom Günther vonne Ecke. Der hat ’n Hühnerstall im Gatten. Is abba ’n ganz Friedlichen. Der Hahn, meine ich. Der Günther auch. Wird nur laut, wenn seine Weiber abgängich sind.»
    «Der Hahn?»
    «Günther.»
    Das kenne ich aus dem Sauerland. Das Hühnergegackere, meine ich. Das andere auch.
    Ich wende mich um und gehe zurück in die Diele, am Bad vorbei in den dritten Raum. Es ist ein geräumiges Wohnzimmer mit offener Küche und einem Balkon, der zur Straße hinausgeht. Herr Böhm folgt mir schnaufend.
    «Küche kannze haben», sagt er und deutet auf eine Zeile rechts neben der Tür, «ohne Abstand odda sonstige Zahlungen. Is von Werner. Der musste Hals über Kopp hier raus, frach mich nich, der hatte irgendwas anne Hacken. Is schon watt älter, die Küche, aber er hatse mir umsonst drinne gelassen, also krichst duse auch für umme.»
    Die Küche sieht gut aus, ein bisschen verlebt, aber noch in Schuss. «Das trifft sich gut», sage ich. Pro forma drehe ich an den Knöpfen des Herds, schließlich kann man nie sicher sein, was einem angedreht wird, außerdem sieht es kundig aus.
    «Ich weiß ja, wie et is mit euch junge Leute», setzt Böhm seinen Gedanken fort, «keine Kohle auf Tasche – da is man froh über allet, wat man kriegen kann. Bisse berufstätich?»
    «Ich arbeite demnächst hier in Dortmund», sage ich. «Ab 1 . Juli. Deswegen muss ich auch umziehen.»
    «Bisse am Computer?», fragt er.
    «Ich mache Sachen fürs Internet», sage ich.
    «Die 300 Euro für Miete kannze also aufbringen, ja?» Er räuspert sich kurz. «Ich mein, is nich gegen dich. Is nur, weil: Ich muss meine Futt auch am Kacken halten. Wennde nur so Gelegenheitsjobs hass, komm wa nich ins Geschäft.»
    «Nee, nee», sage ich. «Ist eine Festanstellung.»
    Er nickt zufrieden. Ich trete vom Wohnzimmer aus auf den Balkon und blicke auf die Straße vor dem Haus. Die Sonne schiebt sich über die Dächer. Es ist früher Morgen. Links von mir, hinter zahllosen Dächern, glitzert ein großer grüner Gasometer mit der Aufschrift «Hoesch». In der Ferne sehe ich Stahlgerippe und Schrebergärten. Ich stehe eine Weile unschlüssig da, dann drehe ich mich zu Böhm herum, der hinter mir in der Balkontür steht, lehne mich mit dem Hintern gegen die Brüstung und frage: «Wie ist denn die Umgebung so?»
    «Astreine Lage», sagt er hastig, als hätte er Angst, dass ich ihm noch abspringen könnte. «Hasse direkt dat Büdchen nebendran, für wenn ma wat is.» Er deutet mit dem Kinn auf die Straße und klemmt seine Daumen hinter die Hosenträger. «Ansonsten: Wennze da die Straße runtergehs», er neigt den Kopf nach rechts, «hasse ’n Netto. Und wennze die andere Richtung gehs», Kopf nach links, «hasse die U-Bahn.»
    «Und die Leute?», frage ich. Der Stadtteil sieht mir nicht gerade nach einem In-Viertel aus.
    «Bombe», sagt Böhm.
    «Wie, Bombe?»
    «Na, Bombe eben. Klasse Typen. So wie ich.» Er zieht die Hosenträger lang und sieht mich eine Zeitlang an. Dann verschränkt er die Arme vor der Brust, verlagert sein Gewicht auf ein Bein und meint: «Mädken, ich sach dir getz ma watt. Wennde so watt wie ’n Prenzlauer Berg haben willz, mit Kneipen und Jugendstil und Weibern, die ihre Kinder in so ’ne schadstoffarme Baumwolltücher durche Gegend tragen, dann ziehße besser ins Kreuzviertel. Da kannze jeden Abend unter so ’ne 60 er-Jahre-Lampen anne Theke hängen und schnieke Cocktails trinken. Wennde aber watt Ehrliches suchs, watt, wo die Leute sich noch guten Tach sagen, weil et sich so gehört, und nich, weil einer vom andern watt will, dann ziehße hier nach Hörde.» Er atmet tief durch, so als hätte ihn seine Rede erschöpft. «Ob du’s glaubs oder nich, ich war letzten Monat in Berlin, mit Kolping. Kolpingfamilie kennze, odda? Meine Täubin, weiße, meine Frau, die hat da früher mitgemacht, hat Altkleider gesammelt, für Waisenkinder und diese armen Hümpsken, die nur einen Arm ham, weil se mitte Extremität unter de Presse gekommen sind. Die ganzen Pullover, die die Leute gegeben ham, hatse dammals selbst umgenäht, et gab Tage,
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