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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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direkt ein Pärchen: Er trägt einen Kittel mit dem aufgestickten Titel «Sortimentsmanager» und räumt Dosenpfirsiche in die Regale, sie stolziert im Minirock und mit Schnürstiefeln vor ihm auf und ab.
    «… der will tatsächlich einen Vattaschaftstest. Alta», echauffiert sie sich und gestikuliert dabei wild mit den Armen. «Ich fass es nicht!»
    Ich suche nach Essig.
    «Wer?», fragt der Doseneinräumer und stapelt weiter Pfirsiche. «Christian, oder was?»
    Hier gibt’s nur Milchreis und Nudeln.
    «Der denkt, ich hätt Hassan gefickt.»
    «Hast du doch auch.»
    Und Salz. Salz, Zucker, Mehl, Backwaren, daneben Konserven. Aber kein Essig.
    «Nur einmal, ey. Davon wird man doch nicht schwanger!» Sie stampft mit kurzen Schritten den Gang auf und ab, nimmt eine Dose Thunfisch aus dem Regal, dreht sie in der Hand und stellt sie wieder hinein.
    «Dabei ist es scheißegal, ob Christian der Vatta ist», fährt die Schnalle fort. «Ich krich eh von sein Hartz IV nix ab.»
    Der Sortimentsmanager hält inne. «Vielleicht kriegst du aber von Hassans Geld etwas ab.»
    «Meinst du, weil Hassan einen Job hat, muss er blechen, oder watt?»
    Ich suche weiter, obwohl ich sicher bin, dass ich hier falsch bin. Ich bin sehr emsig und konzentriert. Tief beuge ich mich in das Regal mit Sauerkraut und Leipziger Allerlei, die Ohren wie Parabolantennen gen Hassans Perle gerichtet.
    «Wenn du ein Kind und einen Job hast, musst du zahlen. Ist immer so. Ist Gesetz in Deutschland.» Er nimmt eine Palette mit Fruchtcocktail und räumt sie neben die Pfirsiche.
    Sie bleibt breitbeinig vor ihm stehen und stemmt ihre zweifarbig lackierten Fingernägel in die Hüften. «Alta, ey. Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Gut, dass ich keinen Job hab! Sonst müsst ich mir am Ende noch selber Unterhalt zahlen.»
    «Du hast das Kind», antwortet der Dosenmann. «Du bist sowieso gefickt.»
    «Dann geh ich jetzt zum Jugendamt und sag denen, dass Hassan der Vater ist. Du bist echt voll schlau, weißt du das?» Sie geht zu ihm, drückt ihm links und rechts ein Küsschen auf die Wange und sagt zum Abschied: «Danke, ey. Es gibt doch noch Gerechtigkeit auf der Welt.»
    Ich richte mich auf und blicke ihr nach. Der Sortimentsmanager hat seine Kartons zusammengeräumt und zieht sich einen Einkaufswagen voller Sechserpacks Limonade vor das gegenüberliegende Regal. Einen Gang weiter finde ich Essig.

    Als ich nach Hause komme, steht mein Vater im Wohnzimmer auf einer Trittleiter und stemmt sich mit der Bohrmaschine gegen die Wand. Meine Mutter steht mit verschränkten Armen daneben, schiebt ihren Unterkiefer vor und verengt ihre Augen zu Schlitzen. Seit die beiden geschieden sind, tut sie das oft in seiner Gegenwart.
    Vatta nimmt Maß, lässt den kreischenden Bohrer an, drückt dagegen – und fällt fast gegen die Tapete. «Wie Butter», sagt er, als der Bohrer an Lautstärke verloren hat. Das Loch, das nun die Wand ziert, ist an den Seiten ausgefranst, Putz rieselt auf die Erde. Wie ein Einschussloch klafft es in der Tapete.
    «Da kann man fast schon eine Gipskartonschnecke nehmen», murmelt er, steigt von der Leiter und geht zu seinem Werkzeugkasten. Mit staubigen Fingern nimmt er einen Dübel aus seiner Hosentasche, hält ihn eine Armlänge weg und kneift die Augen zusammen. «Was steht da drauf?», fragt er mich.
    «Sechs», sage ich. «Hast du keine Lesebrille mit?»
    «Ist im Bad. Hast du noch andere Dübel?»
    «Ich? Nein.»
    «Dann musst du welche kaufen. Bring auch gleich passende Schrauben mit.»
    Er hätte mich genauso gut bitten können, den Fundamentalsatz der Vektoranalysis anhand eines Tafelbildes zu beweisen.
    «Kauf Spreizdübel und pass auf, dass du die richtige Schraubengröße nimmst. Für die Waschmaschine brauchen wir außerdem noch Schlauchschellen und einen Zulaufschlauch. Und bring Spachtelmasse mit.» Er richtet sich auf und sieht mich an. «Du guckst wie ’ne Kuh, wenn’s blitzt», sagt er.
    «Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.»
    «Du wirst doch wohl in den Baumarkt fahren und ein paar Dübel kaufen können.»
    Nein, ich fürchte nicht.
    Vatta bleibt unbeirrt. «Du schaffst das schon», sagt er in einem Tonfall, der signalisiert, dass die Diskussion an dieser Stelle beendet ist. Er wendet sich von mir ab, nimmt den Bohrer von der obersten Stufe der Trittleiter und steigt wieder hinauf.
    «Wo ist eigentlich mein Bier?», fragt er von oben.
    «Habe ich vergessen.»
    «Spreizdübel, Schrauben, Schlauchschellen und
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