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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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Suppe an und beginne zu rühren.
    Meine Mutter nimmt die Füße vom Tisch. «Und wann musst du jetzt in der neuen Firma anfangen?», fragt sie.
    «Am Montag. Um zehn.»
    «Zehn?! Das hätte es früher nicht gegeben. Da wurde um Punkt sieben angefangen.»
    «Du hast damals auch nur bis nachmittags gearbeitet.»
    «Was willst du mir damit sagen?»
    «Dass, wer spät anfängt, auch später aufhört und nicht schon um 16 Uhr Feierabend hat.»
    «Du kannst mir viel erzählen!»
    Es gibt ein paar Sätze aus dem Mund meiner Mutter, nach denen jegliche Kommunikation ein jähes Ende findet. «Du kannst mir viel erzählen!» ist solch ein Satz, ebenso: «Komm du erst mal in mein Alter!», «Wir werden schon sehen!» und «Überleg’s dir besser noch mal!».
    Ich stelle die Suppe an und gehe hinaus zu meinem Vater. «Hast du das schon gesehen?», fragt er mich und deutet mit der Zigarettenkippe auf die Zechenhäuser gegenüber. «Die haben eine riesige Scholle dahinter.»
    In der Tat. Hinter den kleinen, verwunschenen, sich windschief dem Hoesch-Turm entgegenbiegenden Häuschen befinden sich lange, schmale Gärten mit Gemüsebeeten. Über die Dächer der zwei Geschosse blicken wir auf Tomatenranken und selbstgezimmerte Gewächshäuser. Hinter der hutzeligen Hütte direkt gegenüber quietscht eine Hollywoodschaukel in den lauen Abend hinein. Schmidtchen sitzt darauf und baumelt mit den Beinen, während ein papierdünner Opa am Gestell lehnt und mit Worten auf ihn einredet, die wir nicht verstehen.
    «Ist das nicht dein Nachbar?», fragt mein Vater.
    «Schmidtchen», sage ich.
    «Er ist sehr interessiert an dir.»
    «Für eine Affäre ist er aber ein bisschen alt», wende ich ironisch ein.
    «Alte Kippe kann auch Waldbrand machen», sagt mein Vater, und ich bin mir nicht sicher, ob er damit Schmidtchen oder doch nicht eher sich selbst meint.
    Als meine Eltern fahren, wird es schon dunkel. Ich stelle die schmutzigen Teller in die Spüle, ohne abzuwaschen. Schweiß klebt an mir. Zum ersten Mal dusche ich in meinem Muschelbad, suche eine Garnitur frische, nach Weichspüler duftende Bettwäsche aus einem der Kartons und steige in mein neues, altes Bett. Von der Straße vor dem Haus höre ich das Geräusch vorbeifahrender Autos. Jemand hupt. In der Ferne sprechen Menschen. Um mich herum riecht es nach Essig, Allzweckreiniger und neu aufgebauten Möbeln, nach Staub, meinem Vormieter und getrockneter Spachtelmasse. Meine Hände sind rau. In der Ferne gackert ein Huhn.
    Ich schließe die Augen, liege da und lausche. Immer, wenn ich sehr müde bin, habe ich das Gefühl zu schweben. Ich fühle die Matratze unter mir nicht, nicht die Decke auf meinem Körper, nicht das Kopfkissen, ich gleite dahin, vom Wachen in den Traum, als flöge ich auf einer Wolke.
    Ein Windzug weht durch das Dachfenster und streichelt meine Wange. Ich rolle mich fester ins Federbett. Meine Beine zucken. Ich schlafe ein.

[zur Inhaltsübersicht]
    Auf Schicht
    Diese schreckliche Angst, zu spät zu kommen. Zu spät zur Arbeit, zu spät zur Einladung, zu spät zum Essen. Sie treibt mich schon seit Kindesbeinen. Dazu diese Furcht vor den ganzen Eventualitäten, die eintreten können.
    Vor wichtigen Ereignissen stehe ich deshalb immer zwei Stunden zu früh auf. Damit ich jedem Stau ausweichen, bei jeder Bahnpanne improvisieren, vorher noch dreimal zur Toilette gehen und mich ausdauernd verlaufen kann.
    Zweite Vorsichtsmaßnahme: nichts essen. Ich bekomme sonst Verdauungsbeschwerden, Nahrungsbestandteile tropfen mir auf die Kleidung, ich beschmiere meine Mundwinkel mit Nutella, eine der Tortellini mit Soße rollt mir über Brust und Bauch bis auf die Hose, ich trinke Wasser mit zu viel Blubber und muss im falschen Augenblick undamenhaft rülpsen.
    Ich stehe also an diesem Morgen, meinem ersten Arbeitstag in der neuen Firma, um 6 . 30 Uhr auf, um gegen 10 Uhr dort zu sein. Der Weg ins Büro, das habe ich ergoogelt und über die Webseite des Verkehrsverbundes recherchiert, dauert etwa 30 Minuten – eine Abreise vor halb neun Uhr ist also sinnlos, selbst wenn ich einrechne, dass ich den Weg zur U-Bahn nicht wiederfinde, noch einmal umkehren muss, Zeuge eines Unfalls werde und einen Menschen 30 Minuten lang mit Herzdruckmassage am Leben erhalten werde, bis Sanitäter eintreffen.
    Kaum habe ich mich angekleidet, klingelt das Telefon.
    «Ich wünsche dir einen tollen Tag und toi! toi! toi!», flötet Mutter.
    «Wird schon», sage ich kurz angebunden.
    «Hast du etwas
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