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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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ausmacht.
    «Bulgur-Salat», sagt Sedat und deutet erklärend auf die Schüssel. Ich könnte sie sofort nehmen und leer essen. «Von meiner Mutter. Sie denkt immer noch, dass sie eine riesige Familie versorgen muss, dabei sind wir jetzt nur noch zu fünft hier in Dortmund. Früher, als meine Großeltern noch lebten und meine Schwestern hier gewohnt haben, waren wir doppelt so viele. Jetzt sind nur noch ich, meine Großtante und mein Großonkel und meine Eltern hier. Aber meine Mutter kocht immer noch so, als kämen alle zum Essen. Deshalb gibt’s hier montags immer Türkisch im Büro.»
    «Ist doch super», sage ich.
    «Du machst dann demnächst Projekte hier, oder?»
    «Ja, genau. Mehr weiß ich aber auch noch nicht», antworte ich.
    «Dann komm doch mit in mein Büro, solange Kaminski noch nicht da ist. Dann können wir schon ein bisschen schnacken.» Er sagt wirklich «schnacken», was ich noch nie aus dem Mund eines Türken gehört habe und deshalb ein bisschen seltsam finde.
    Sein Büro liegt am Anfang des Flurs direkt neben der Eingangstür. Er deutet auf die zwei Schreibtische, die sich gegenüberstehen. «An dem links sitze ich. An dem anderen sitzt Jost. Kennst du Jost schon?»
    Ich verneine.
    «Dann sag mir gleich mal, was du als Erstes über ihn gedacht hast, nachdem er reingekommen ist.» Ich muss wohl etwas verwirrt gucken, denn er schiebt hinterher: «Hey – ich lasse nichts auf ihn kommen. Ich meine nur: Er sieht nicht wirklich nach dem aus, was er macht. Eher nach … – na ja, wirst schon sehen. Kommst du hier aus Dortmund?»
    «Nee, aus dem Sauerland.»
    Sedat beginnt zu singen: «Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland …» – die Hymne der Region, die der gemeine Sauerländer auf jedem Schützenfest nach acht Bier mit genetisch veranlagter Textsicherheit in die Wälder grölt. Ich muss lachen.
    «Meine Frau kommt aus Meschede», sagt er zur Erklärung. «Komm, wir setzen uns. Dann kannst du mir ein bisschen von dir erzählen.»
    Er zieht seinen Schreibtischstuhl unter dem Tisch hervor und setzt sich. Ich lasse mich ihm gegenüber an einem freien Tisch nieder, der offensichtlich für Besucher da ist. Ich erzähle ihm, dass ich frisch nach Dortmund gezogen bin. Ich erzähle ihm auch von Schmidtchen, seiner Suppe und Stan Libuda.
    «Wenn du die alten Leute hier fragst, gibt’s für die nur drei Themen: Kohle, Stahl und BVB », meint Sedat.
    «Und für die jungen Leute?»
    «Für die gibt’s nur den BVB », sagt er und lacht. «Meine Eltern sind damals als Gastarbeiter nach Dortmund gekommen. Bei denen ist es genauso. Die unterhalten sich auch nur über das, was sie in der Fabrik erlebt haben. Willst du wissen, woran wir aktuell arbeiten?»
    «Sag mir erst mal, was du hier machst.»
    «Mediengestalter. Graphik, Programmierung – dieses ganze Zeug. Aber nicht so wie Thorsten, der macht das ganze Coding, ausschließlich. Ich kümmere mich mehr um Oberflächen.»
    Ich frage, wer Thorsten sei.
    «Das ist dieser Typ mit den roten Haaren, die vorne so abstehen. Er muss dir die Tür aufgemacht haben, denn er ist der Einzige, der morgens so früh hier ist.»
    Eichhörnchen heißt also Thorsten. Im Gegensatz zu Eichhörnchen ist Sedat ein schmucker Typ: dunkle Augen, Lachfalten, ein breiter Mund mit vollen Lippen.
    «Und deine Frau kommt aus Meschede?», frage ich.
    «Nächste Woche ist Schützenfest im Dorf. Da müssen wir hin. Frag nicht nach Sonnenschein.»
    «Wieso? Musst du den König machen?»
    «Nee, zum Glück nicht. Wir wohnen ja nicht mehr da. Aber ich muss mit und mir das ganze Zeug reinziehen: Zapfenstreich, Schützenzug, Vogelschießen. Aber was tut man nicht alles aus Liebe – und für die Kids. Wir haben einen Jungen und ein Mädchen. Die finden das natürlich ganz toll.»
    Ein Mann um die 50 betritt mit schwebendem Schritt den Raum. Er ist komplett in Schwarz gekleidet – Lederhose, Lederstiefel, Rollkragenpullover –, seine Wangenknochen sind eingefallen, die Haut ist von einem grauen Dreitagebart bedeckt, der fast bis an die Augenhöhlen reicht. «Hallo», sagt er und setzt sich auf seinen Platz.
    «Das ist Jost», sagt Sedat. «Jost, das ist Nessy. Sie arbeitet ab heute bei uns.»
    Schweigend reicht Jost mir die Hand. Er hält seinen Kopf schief, als habe er eine Nackenkrankheit, was es ihm ermöglicht, so zu wirken, als sehe er mich an, tatsächlich aber schaut er an mir vorbei.
    «Jost ist unser Graphikdesigner», sagt Sedat. Jost sagt weiterhin nichts. Er fährt seinen
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