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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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Vernünftiges an?»
    «Hose und Bluse, Mama.»
    «Gebügelt?»
    «Na sicher.»
    «Auch auf dem Rücken? Nicht, dass du wieder nur vorne gebügelt hast und hinten noch alles knubbelig ist.»
    «Nein, Mama.» Ich setze mich an den Küchentisch.
    «Hast du dir ein Butterbrot eingepackt?», fragt sie mit besorgtem Mütterunterton. Sie ist in ständiger Angst, ich könnte verhungern – eine unbegründete Furcht, das erkennt jeder, der mich einmal nackt gesehen hat.
    «Ich gucke erst mal, wie die Kollegen so ihre Mittagspause verbringen», sage ich.
    «Gibt es keine Kantine?»
    «Nein.»
    «Wieso nicht?»
    «Woher soll ich das wissen?»
    «Ich habe neulich in einem Artikel in der
Brigitte
gelesen, dass diese Sachen immer wichtiger für Firmen werden. Kantine, Kinderbetreuung – das bieten die heutzutage alles an, um Fachkräfte an sich zu binden. Manche haben im Hof sogar Spielplätze.»
    «Ich habe doch gar keine Kinder.»
    «Das geht manchmal schneller, als man denkt. Wäre ja zu hoffen.»
    Das Gespräch entwickelt sich in eine falsche Richtung. «Mama, ich fange gerade erst einen neuen Job an. Da kann ich nicht gleich schwanger werden. Und vor allem: Von wem?»
    «Daniel wolltest du ja nicht.»
    «Eben.»
    «Irgendwann ist der Zug abgefahren.»
    «Mama! Aber doch noch nicht mit 30 !»
    «Vielleicht lernst du ja bald wieder jemanden kennen. Auf der Arbeit haben sich schon die beständigsten Partnerschaften entwickelt.»
    «Ich muss jetzt los.»
    «Ich wollte dir ja nur viel Glück wünschen.»
    «Das ist sehr lieb von dir.»
    Ich gehe zur U-Bahn. Es ist jetzt 8 . 30 Uhr. Die Haltestelle ist im praktischen Chic der achtziger Jahre gehalten: Boden und Wände sind braun und grün gefliest, eine unaufdringliche Melancholie legt sich sanft auf die Herzen der Reisenden.
    Auf der Treppe jongliert sich eine kleine, runde Frau mit weißem Haar die Stufen zum Bahnsteig hinab. Mit der einen Hand klammert sie sich ans Geländer, mit der anderen balanciert sie ihren Rollator.
    «Ich nehme Ihnen den mal ab», sage ich und greife zu. Solche Sachen kann ich nicht mit ansehen. Da muss ich immer eingreifen.
    Mit den Augen eines Igels blickt sie mich an, sagt aber nichts. Ich trage den Rollator die Treppe hinunter und beglückwünsche mich währenddessen, früh genug aus dem Haus gegangen zu sein. Zwar steht noch keine Reanimation an, aber das kann ja noch kommen.
    «Spasibo», sagt sie unten: danke. Für einen Schüleraustausch, 9 . Klasse, habe ich mal Russisch gelernt: «Bitte», «Danke» und sechs andere Wörter. Nach der Reise konnte ich außerdem «Prost!», «Bier», «Vorsicht!» und «Die U-Bahn fährt ein» sagen.
    «Paschalasta, nje stojt», antworte ich stammelnd: Bitte, gern geschehen.
    «Sprechen Sie Russisch?»
    «Nein. Nur ein paar Sätze», sage ich.
    Sie lächelt trotzdem. «Wissen Sie», sagt sie, «viele Leute mögen uns nicht, weil: Wir sind Ausländer. Dabei sind wir gute Menschen. Wir wohnen chier nur.» Sie nimmt ihren Rollator und schiebt davon, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Als ich in der Bahn sitze und darauf warte, dass sie losfährt, rollt sie noch einmal zu mir herüber und sagt: «Wollte ich noch sagen, aber musste ich mir erst Cherz fassen: Sie sind eine chubsche Meedchen. Wirklich chubsch. Wunsche ich Ihnen viel Gluck. Chaben Sie einen schonen Tag.»

    Meine neue Arbeitsstelle liegt in der Innenstadt, ein großer Bürokomplex neben einer noch größeren Baustelle. Ein dünner Typ mit Geheimratsecken und abstehenden roten Haaren, die ihn wie ein Eichhörnchen aussehen lassen, öffnet die Tür. Ich stelle mich vor und sage, dass ich die neue Kollegin bin.
    «Neue Kollegin?», fragt Eichhörnchen.
    «Ja», sage ich. «Ich fange heute hier an.» Meine Bluse klebt mir am Rücken. Ein dünnes Rinnsal Schweiß läuft mir die Wirbelsäule hinunter.
    «Davon weiß ich nichts. Aber egal, komm erst mal rein. Wird sich schon aufklären.»
    Ich betrete das Büro. Von einem langen, mit Teppich ausgelegten Flur gehen links und rechts Zimmer ab.
    «Wo sollst du denn sitzen?», fragt Eichhörnchen. «Bei Melanie am Tisch?»
    Wer ist Melanie?, frage ich mich, sage aber: «Keine Ahnung. Habt ihr keinen Arbeitsplatz eingerichtet?»
    «Nicht dass ich wüsste.»
    Das geht ja schon gut los.
    Wir stehen ein bisschen ratlos herum, bis Eichhörnchen sagt: «Ich setze dich erst mal in die Teeküche. Der Chef kommt immer erst gegen zehn. Bis dahin kannst du ja Zeitung lesen.»
    Ich folge ihm in einen Raum am Ende des Flurs. Wir
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