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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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dafür, dass wir keine Routine hatten – zwei Tanzpartner, geschmeidig und besonnen, und als wir uns doch auf die Füße traten, haben wir gekichert, ja, sogar lauthals gelacht und uns geneckt. Nicht ich war es, die diesen Tanz führte, dazu war ich zu zappelig, zu überschwänglich, ja, und auch zu beschämt. Es war Thorsten, der unbeschwert, aber bestimmt, mit einer Nonchalance, die mich auf eine sanfte Weise erregte, unser Kollegendasein in eine Beziehung überführte.
    Katrin hat Thorsten nach Mareike gefragt. Mareike hat mich zwar gesehen, auch bereits ein zweites Mal, aber sie weiß noch nicht, dass wir ein Paar sind. Vielleicht ahnt sie es, doch Thorsten hat ihr nur gesagt, dass wir uns gut verstehen, hat ansonsten keine Erklärungen abgegeben – und keine Rechtfertigung, dass ich mich bei ihm aufhalte. Übernachtet habe ich nur einmal bei ihm, als Mareike nicht zu Hause war und auch nicht die Gefahr bestand, dass sie überraschend kommt. Er möchte noch abwarten, möchte sie nicht verunsichern, falls es mit uns nichts wird.
    «Hat Katrin noch mal angerufen?», frage ich Thorsten.
    «Gestern Abend. Sie freut sich sehr für uns. Sie hat es ungefähr sechsmal gesagt.»
    Ich höre Schritte im Hintergrund. Es kann nur Melanie sein, denn nur sie trägt in unserem Büro Stöckelschuhe, und nur sie marschiert damit so energisch über den Flur.
    «Hey, Thorsten … oh, du telefonierst.»
    «Kann ich dich gleich noch mal anrufen?», fragt er mich. Er flüstert fast.
    «Wat sprichze denn so stickum? Du säuselst ja wie Semino Rossi, wenn er Cuccurrucucu Paloma singt.»
    «Ich telefoniere privat.»
    «Hasse ’ne neue Flamme?»
    «Melanie …»
    «Ich glaub’s nich! Der Torti is verliebt.»
    «Ich telefoniere!»
    «Is ja schon gut. Ich komm gleich widda. Dann kannze mir allet erzähln.»
    Für einen Moment ist es still. Schritte entfernen sich.
    «Kommst du heute Abend vorbei?», fragt Thorsten. «Ich vermisse dich.»
    «Ich wollte noch mal zum Schmidtchen runter und gucken, ob er Zuspruch braucht.»
    «Okay, verstehe ich.»
    «Ich hab dich lieb.»
    «Ich dich auch.»

    Schmidtchen isst die Spaghetti mit Wonne und drei Löffeln Parmesan. Die Tränen stehen ihm in seinen kleinen, trüben Augen, als ich mit Topf im Arm an seiner Tür klingele wie einst Lisbeth an meiner – damals mit der Erbsensuppe von Stan Libuda.
    Nun sitzt er im Sessel, er hat ein Kissen auf den Tisch gelegt.
    «Macht doch nix, Ettekken, odda? Wir sind doch unter uns», sagt er und lagert die Beine auf das Kissen. Ich sitze auf dem Sofa und habe die Beine unter meinen Körper gezogen.
    «Ich hab die Lisbeth sehr lieb gehabt», sagt er und faltet die Hände über seinem Bauch, der in den vergangenen Wochen kleiner geworden ist. Der Kummer hat Schmidtchen geschrumpft, in der Höhe wie in der Breite. Sein Gesicht ist eingefallen, seine Wangen sind hohl, die Haut hängt ihm unterm Kinn herab.
    «Dammals», sagt er, und sein Blick gleitet ins Nichts, «dat war ’n keine einfachen Zeiten. Nich nur wegen den Eltern vonne Lisbeth. Auch so.»
    Gleich nachdem er seine Lisbeth kennengelernt hat, sei es losgegangen, das Zechensterben, damals, Ende der Fünfziger – es hat zwar nicht seine Zeche erwischt, aber trotzdem. Zu Tausenden sind sie entlassen worden, die Arbeiter, die Steiger und Untersteiger, die Hauer und Haspelzieher und all diejenigen, die bislang so geachtet gewesen waren. Er, Schmidtchen, hatte Glück, ist auch nach der Kohlekrise noch aufgestiegen – vom Bergknecht zu einem, der Bohrlöcher setzen und sprengen durfte. In zwei Welten hat er gelebt damals: in einer über und einer unter Tage. In der unter Tage war er zwar nicht viel, nur ein kleiner Hilfsarbeiter, einer, der zuarbeitet, keiner, der entscheidet. Er hatte nichts gelernt, hatte keine Handwerkerlehre absolviert und keine Bergschule besucht. Er hatte Flausen im Kopf, war um die Häuser gezogen und hatte rebelliert, erst gegen die Mutter, dann gegen die Schule, dann gegen alles, was ihm in den Sinn kam. Bis eines Tages ein Nachbar ihn mit nach unten nahm, in die Erde, ihm gezeigt hat, was es bedeutet, ein Mann zu sein, ihm nach der Schicht, noch im Fahrkorb nach oben, auf die Schulter geklopft und ihn dafür gelobt hat, dass er keine Angst gezeigt und durchgehalten hat. Da ist Schmidtchen geblieben – bei den Kumpels, beim Bergbau. Denn er war zwar nicht viel, aber er zählte etwas, und die Männer zählten auf ihn.
    In der Welt über Tage, in der Welt von Lisbeths Eltern aber war
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