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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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Schmidtchen ist also tot, ja?»
    «Irgendwatt mitm Blut. Kräbbs oder Herz oder irgendwatt anderes, jedenfalls war se ja schon seit Monaten schwach auffe Beine und hattes anne Pumpe und war immer am Stolpern dranne, wenn se nur drei Schritte außem Haus gegangen is.»
    Ich denke an Silvester, als sie mir erzählte, dass sie ins Krankenhaus müsse. Ich habe sie zwischenzeitlich nicht oft gesehen. Ihn schon, aber er hat nie etwas gesagt – nicht, dass es so ernst ist.
    «Und sie is ja auch so spirrelich geworden die letzte Zeit. Ich hab letztens noch zu ihr gesacht, Frau Schmidtchen, hab ich gesacht, pass auf mit dein Gewicht, kannz och nich noch mehr abnehmen, bist schon ganz schmal geworden. Da hatt se nur gelächelt und gesacht, ihr Mann würd schon gut für sie sorgen, und getz isse tot. Bam!» Gabi stampft mit ihrem Plüschpantoffel auf. «Watt ich abba eigentlich fragen wollt, is wegen de Beerdigung. Gehße da mit?»
    «Wann ist die denn?»
    «Am Donnerstach um neun. Müssen wa früh auße Federn.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Adieu
    Sie ist tot, ausgesprochen tot. Blass, wächsern und sehr regungslos. Ihre Hände sind gefaltet oder nein – mehr ineinander verknotet. Das haben sie nicht gut hingekriegt, die Männer vom Bestattungsunternehmen.
    Schmidtchen steht am Sarg und reibt sich mit einem Stofftaschentuch Tränen aus roten Augen. Er zieht dabei an seinen faltigen Lidern wie an einem Spannbettlaken. Ich gehe zu ihm.
    «Mein Beileid», flüstere ich, als würde ich sie aufwecken, wenn ich lauter spräche. Mir ist danach, ihn zu umarmen, aber er bewegt sich nicht. Er blickt mich nur an. Seine Augen sind leer und wässrig.
    «Danke, Etteken», sagt er mit brüchiger Stimme.
    Lebend hat sie immer gelacht, war munter, pumperlrund und hatte etwas von einem Apfelbäumchen – fest verwurzelt, an der Rinde ein bisschen knorrig, aber doch immer fröhlich, mit wiegendem Schritt und geröteten Bäckchen. Wie sie nun in ihrem lila Kostüm steckt, schaut sie aus, als sei sie ein Blatt Papier. So dünn. So tot. Ihre Gesichtszüge steif, die Haut wie Pergament, dunkle Flecken unter den Fingernägeln, das linke Auge einen Spalt geöffnet. Weißer Augapfel. Sie ist schon nicht mehr da.
    Ich bleibe eine Weile stehen, senke den Kopf. Vier Bestatter kommen, Frack, Zylinder, die Hände vor dem Schritt gefaltet. Sie nicken Schmidtchen zu. Schmidtchen nickt zurück und geht hinaus. Ich folge ihm in die kühle, feuchte Märzluft. Über uns ein Vordach aus geriffeltem Kunststoff, auf das trommelnd Regen tropft. Gemeinsam blicken wir in die Wand aus Wasser, die vor uns das Dach hinabläuft und die betonierten Wege hinab zum Friedhofstor fließt. Es ist ein Regen, von dem man denkt, dass er gleich vorbei sei, denn solch einen Regen hält keine Wolke lange durch. Aber es regnet bereits seit dem Aufstehen in einem fort. Der graue Himmel hängt tief über den Gräbern. Das Prasseln der Tropfen, ein dichtes, gleichförmiges Rauschen.
    Vorne am Tor steht Gabi und hält einen Schirm über eine gebeugte Frau. Petra, Schmidtchens Tochter. Sie schnäuzt sich, zuckt mit den Schultern, Gabi legt einen Arm um sie, drückt sie an sich. So haben wir es verabredet. «Geh du zum alten Schlömmken, ich nehm mich die Petra. Die kenn ich noch vonne Schule.»
    Hinter uns plötzlich das dumpfe Geräusch von Holz auf Holz. Ich zucke zusammen, denke reflexhaft: «Klappe zu, Affe tot.» Schmidtchen dreht sich nicht um. Er nimmt sein Taschentuch und zieht am Spannbettlaken. Kein Schluchzen höre ich, kein Seufzen, kein Schnäuzen. Nur stilles Weinen. Das Tropfen der Tränen, geräuschlos und doch lauter als der Regen.
    Wir gehen wieder hinein und setzen uns. Petra kommt, setzt sich zu ihrem Vater. Gabi gleitet neben mir in die Bank, drei Reihen hinter den beiden. Still sitze ich da, das Gesangbuch auf den Knien. Die Kapelle füllt sich mit alten Menschen, dem Mann von der Trinkhalle gegenüber, der Frau von der Mickenbäckerei, der misanthropischen Kassiererin aus dem Ghettonetto, der Apothekerin von der Ecke, dem Pizzapakistani, Unbekannten, einem Männergesangsverein in Tracht. Die Andacht beginnt.

    Mit knirschenden Seilen lassen die Träger den Sarg in die Grube hinab, ruckelnd, sie sind nicht ganz synchron, Lisbeths Füße sind zu tief, sie sind schon unten, als ihr Oberkörper platschend in die Pfütze dort unten fällt. Schon wieder etwas, das sie nicht gut hingekriegt haben. Erst die Hände, jetzt das. Ein schlimmer Moment, in dem sich wie in keinem
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