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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion
Autoren: Tanith Lee
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Lösung des Rätsels zu erzählen, begann Cyrion über den Vogel zu sprechen, sein Lied, sein Gefieder, seine Wanderungen.
    Eliset lauschte verblüfft. Bald ging sie neben ihm durch das gärende Herz des Obstgartens. Er erzählte von den Blumen, an denen sie vorbeikamen, und als zwischen den Stämmen ein Stück der alten remusanischen Mauer zu sehen war, erzählte er ihr von den Remusanern.
    Seine Stimme, klangvoll und makellos, nahm sie völlig gefangen. Irgendwo tief drinnen wußte sie, daß sie nie mehr vergessen würde, daß der kleine Vogel im Winter nach Kyros und Askandris flog oder daß man die weiße Blume für ein Mittel gegen Schlaflosigkeit hielt oder daß ein Offizier der Remusaner, dem die Mittagshitze zusetzte, in die Mauer eines alten Gasthauses in Teboras die Worte geritzt hatte: Legionäre wurden hier gebraten.
    Aber dann sagte sie doch: »Das ist eine eigenartige Unterhaltung, die wir hier führen.«
    »Oh«, meinte er. »Ich bin der Ansicht, für einen oder zwei Tage hat es genug Blutvergießen und Gewalt gegeben. Abwechslung muß sein.«
    Sie ließen die Obstgärten hinter sich und traten auf den dürren Rasen unterhalb des Abhangs. Vor ihnen stieg der Boden an, bis zu der verdorrenden Buche, dem baufälligen Haus, dem schiefen Turm und dem dahinter verborgenen Meer, dessen zeitlose Schönheit den Verfall ringsherum gnadenlos betonte.
    Eliset nahm das Bild in sich auf.
    »Meine Mitgift. Bedenkt nur. Wenn Ihr mich tatsächlich geheiratet hättet, würde all das Euch gehören.«
    »Und bedenkt Dir, welch unwürdigen Gatten Ihr Euch damit eingehandelt hättet.«
    »Ich hielt Euch für Roilant.«
    »Wirklich?«
    Sie sah ihm in die Augen. »Ihr wißt, daß es so war.«
    »Ich glaubte es«, gab er zu. »Rückblickend bin ich mir nicht mehr so sicher. Aber diesmal kann ich weder auf Beweise noch auf Logik zurückgreifen.«
    Sie senkte die Augen. »Also gut. Da Ihr nichts fordert, werde ich es Euch umsonst geben. Ich spielte meine Rolle weiter und nahm nicht zur Kenntnis, was ich entdeckt hatte, wie ich auch alles andere nicht zur Kenntnis nahm, was mir gefährlich werden konnte. Vielleicht war es ein Spiel von Mevary. Oder von Roilant. Denn ich wußte, daß ich in Euch nicht Roilant vor mir hatte. Es war mehr, als nur eine Ahnung.«
    »Was hat mich verraten?« fragte er. Und dann, so leise, daß sie es kaum verstehen konnte: »Eliset?«
    Sie hob den Blick. Die Sonne verlieh ihren Augen jede Schattierung von Blau, die es auf der Welt gab.
    »Auf den Klippen«, sagte sie. »Euer Kuß hat Euch verraten.«
    »Weil Roilant Euch nicht geküßt haben würde?«
    »Weil es nicht der Kuß Roilants war.«
    »Und trotzdem habt Ihr mich geheiratet, einen Betrüger.«
    »Ich ahnte inzwischen, daß die Zeremonie nicht gültig sein würde. Obwohl ich Angst genug hatte, um Euch zu bitten, für diese Nacht nach Flor zurückzukehren.«
    »Ihr hattet nicht die Befürchtung, daß ich die Rechte eines Ehemannes geltend machen würde?«
    Sie antwortete: »Davor hatte ich keine Angst. Wie Ihr wißt, gab es andere, die sich mir aufgezwungen haben.«
    »Und ich war lediglich noch einer.«
    »Einer, den ich selbst gewählt hätte, und mit Freuden.«
    Was sie sagte, schien ihren Stolz und ihre Gelassenheit nicht zu beeinträchtigen, nur der heftige Pulsschlag an ihrem Hals ließ ihre Haut weiß aufleuchten, wie eine schwankende Blüte.
    Cyrions Hände, jetzt nicht mehr die eines Kriegers, sondern die eines Musikers, strichen leicht über ihre Haare, ihren Mund, ihre Stirn. Sie schloß die Augen, als seine Lippen den Händen folgten. Seine Arme umfingen sie, und einen Augenblick lang schwebte sie im Nichts, und dann vergaß sie alles außer dem Mann, der sie hielt. Vergas die Wärme der weit entfernten Sonne und den Gesang des kleinen Vogels, der im Winter in die Wüste flog.
    Entlang einer Straße in Heruzala, die wegen ihrer Nachbarschaft zu einem alten remusanischen Gefängnis Festungsstraße genannt wurde, stand eine Anzahl schöner Häuser, die jetzt allmählich verfielen. In dieser einst vornehmen Gegend sprachen hohe Mauern und feste, verriegelte Tore von vergangenem Reichtum. Eines der Häuser an der Festungsstraße hatte, zumindest für Roilant von Beucelair, eine besondere Bedeutung. Es war das Heim der Dame, von der er sich getrennt hatte, um sie vor der Zauberkraft Elisets zu schützen - oder, wie sich herausgestellt hatte, vor der Valias.
    Sehr früh an einem Sommermorgen wurde Roilants Dame von der Ankündigung, daß
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