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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City
Autoren: Greg Egan
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Frühstück. Bei dem Gedanken daran, zur Tagesordnung überzugehen, zuckte er die Schultern. Es kümmerte ihn nicht. Was sollte er auch tun ? In den Hungerstreik treten? Wie ein Wilder nackt durch die Wohnung toben und sich mit Exkrementen beschmieren? Er war fast rasend vor Hunger, denn vor dem Scan hatte er fasten müssen – und die Küche war bis obenhin mit buchstäblich unerschöpflichen Vorräten gefüllt.
    Das Müsli schmeckte genau wie Müsli, der Toast wie Toast, auch wenn er wußte, mit welchen Tricks Geschmack und Aroma der Speisen erzeugt wurden. Man kaute, speichelte die Nahrung ein – aber es konnte keine Rede davon sein, daß der Weg von Nährstoffmolekülen im und durch den Körper im einzelnen verfolgt wurde; das Modell errechnete die Menge der zugeführten Stoffe anhand empirischer Daten über den Speichelverbrauch. Je nach der Zahl der verbrauchten »Speicheleinheiten« erhöhte sich die Konzentration von Aminosäuren, verschiedenen Kohlenhydraten und anderen Substanzen bis hin zu einfachen Natrium- oder Chloridionen in den »Speisebreieinheiten« des Magens … die wiederum den Input lieferten, mit dem die Arbeit der Zotten und Mikrovilli seines Darms simuliert wurde. Nicht anders war es beim nächsten Schritt, der Aufnahme der Nährstoffe ins Blut.
    Die Ausscheidung von Urin und Kot war optional. Es gab Kopien, die jeden nur denkbaren körperlichen Aspekt ihres früheren Lebens beibehalten wollten, doch Paul hatte sich in diesem Fall dagegen entschieden (soviel zum Thema »Sich mit Exkrementen beschmieren«). Was sein Körper produzierte, verschwand wie durch Zauberei, lange bevor es Blase oder Dickdarm erreichen konnte. Es existierte nicht, weil man es zu ignorieren beschlossen hatte, weil es kein Programm dafür gab. Hier mußte man, wollte man etwas aus der Welt schaffen, nichts weiter tun, als es vorsätzlich aus den Augen zu verlieren.
    Der Kaffee hatte ihn völlig wach gemacht und ihm gleichzeitig zu mehr Distanz gegenüber seinem Innenleben verholfen. Das war schon immer so gewesen. Die Neuronen seines Gehirns waren mit größtmöglicher Genauigkeit nachgebildet worden, und wie viele Rezeptoren für Koffein und seine Abbauprodukte zum Zeitpunkt des Scans auch im Gehirn des Originals gewesen sein mochten, dieses Modell simulierte jeden einzelnen davon – vereinfacht, aber kaum weniger effektiv.
    Und die physikalische Realität hinter allem?
    Ein Kubikmeter schweigender, regloser optischer Kristalle, ein Cluster aus mehr als einer Milliarde Prozessoren, einer von einigen hundert identischen Rechnern irgendwo in einem Kellergewölbe auf diesem Planeten.
    Paul wußte nicht einmal, in welcher Stadt er sich befand; der Scan war in Sydney gemacht worden, aber die Implementierung wurde üblicherweise vom örtlichen Verteilerknoten aus dorthin vergeben, wo die Rechenzeit gerade am billigsten war.
    Er nahm ein scharfes Kochmesser aus einer Küchenschublade und brachte sich eine leichte Schnittwunde am linken Unterarm bei. Er ließ einige Tropfen Blut in den Ausguß fallen und überlegte, welche Routine der Software sich mit diesem Problem befaßte. Würden die roten und weißen Blutkörperchen langsam verschwinden, oder waren sie dem gröberen allgemeinphysikalischen Umgebungsmodell als Parameter übergeben worden, das so feine Berechnungen gar nicht anstellen konnte, geschweige denn, sie weiterverarbeiten?
    Wenn er nun versuchte, seine Pulsadern aufzuschneiden? An welchem Punkt würde Durham eingreifen? Er starrte sein verzerrtes Spiegelbild in der Messerklinge an. Wahrscheinlich würde sein Original ihn einfach sterben lassen und das ganze Modell von neuem starten, allerdings ohne Messer in der Schublade. Die früheren Kopien hatte er alle mehrere hundert Male laufen lassen, hatte alle möglichen Umgebungsparameter an ihnen getestet, in dem vergeblichen Bemühen, irgendeinen billigen Trick oder ein Ablenkungsmanöver zu finden, das sie vom Aussteigen abhielt. Es war nichts weiter als ein Beweis seiner an Stumpfsinn grenzenden Hartnäckigkeit, daß er so lange gebraucht hatte, um seine Niederlage einzugestehen, bevor er den Plan in einem wesentlichen Punkt abänderte.
    Paul legte das Messer zurück. Er wollte es nicht auf den Versuch ankommen lassen. Noch nicht.
     
    Jenseits seiner Wohnungstür ließ die Simulation einiges zu wünschen übrig: Zwar war das Haus, in dem er wohnte, ziemlich genau nachgebildet, bis hin zu den häßlichen Topfpflanzen aus Plastik; aber die Korridore waren
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