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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City
Autoren: Greg Egan
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welche Erklärungen standhalten und welche weichen. Wir könnten nach diesen Gesetzen suchen! Wir könnten versuchen, einen Sinn in dem zu erkennen, was hier geschieht.«
    Höhnisch erwiderte Durham: »›Höher und weiter‹? Auf der Suche nach dem Stein der Weisen?«
    Maria war kurz davor zu verzweifeln. Er war ihre einzige Verbindung zu der alten Welt; ohne ihn wäre all ihre Erinnerung bedeutungslos.
    »Bitte! Wir können in einem neuen Elysium darüber streiten! Aber jetzt ist keine Zeit mehr.«
    Traurig schüttelte er den Kopf. »Maria, es tut mir leid. Aber ich kann Ihnen nicht folgen. Ich bin siebentausend Jahre alt. Alles, was ich aufgebaut habe, liegt in Trümmern. All meine Gewißheiten haben sich in Rauch aufgelöst. Haben Sie eine Ahnung, was für ein Gefühl das ist?«
    Maria blickte ihm in die Augen und versuchte, ihn zu verstehen, die Tiefe seiner Müdigkeit abzuschätzen. Hätte sie so lange beharrlich ihre Ziele verfolgen können wie er? Vielleicht kam für jeden eines Tages der Punkt, an dem es nicht mehr weiter ging und nur noch der Tod als einziger Ausweg blieb. Vielleicht hatten die Lambertianer wirklich recht, und Unendlichkeit war bedeutungslos … und Unsterblichkeit ein Wunder, nach dem ein Mensch nicht streben sollte?
    Kein Mensch …
    Maria setzte eine wütende Miene auf. »Ob ich eine Ahnung habe, was das für ein Gefühl ist? Nun, es ist, wie immer Sie wollen, daß es sich anfühlt! Sie haben die Macht, es sich auszusuchen! Sie haben keine alten menschlichen Fesseln mehr! Wenn Sie meinen, daß Ihre verdammte Vergangenheit Sie erdrückt, dann, weil Sie das so wollen! Wenn Sie wirklich sterben wollen, kann ich Sie nicht daran hindern – aber erzählen Sie mir bloß nicht, daß Sie keine Wahl haben!«
    Einen Augenblick lang blickte Durham sie schmerzerfüllt an, als hätte alles, was sie gesagt hatte, seine Verzweiflung nur gesteigert – aber dann schienen einige Worte ihrer Tirade zu ihm durchzudringen.
    Schließlich sagte er zärtlich: »Du brauchst wirklich jemanden, der die alte Erde kennt, nicht wahr?«
    »Ja.« Maria blinzelte ihre Tränen beiseite.
    Plötzlich erstarrte Durhams Gesichtsausdruck – als hätte er sich aus seinem Körper entfernt. Hatte er sie jetzt verlassen ? Fast hätte sie sich aus seinem Griff befreit, aber dann kehrte Leben zurück in sein wächsernes Gesicht.
    Er sagte: »Ich werde mit dir gehen.«
    »Was …?«
    Er strahlte sie an wie ein Idiot – wie ein Kind. »Ich habe gerade einige Veränderungen an meinem Gemütszustand vorgenommen. Und ich nehme deine Einladung an. ›Höher und weiter‹.«
    Maria hatte es die Sprache verschlagen. Ihr war schwindlig vor Erleichterung. Sie legte ihre Arme um ihn, und er erwiderte die Umarmung. Er hatte das für sie getan? Sich selbst geändert, sich neu zusammengesetzt ..?
    Sie hatten keine Zeit mehr zu verschwenden. Sie ging zum Kontrollpaneel und bereitete eilig den START vor. Durham sah ihr zu, noch immer lächelnd; er schien vom Anblick des Schirms so hingerissen, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen.
    Maria erstarrte. Wenn er sich rekonstruiert hatte, neu geschaffen – wieviel war von dem Mann übrig, den sie gekannt hatte? Hatte er sich mit übermenschlicher Kraft von seiner endlosen Verzweiflung geheilt? Oder war er still und leise gestorben, außerhalb ihrer Wahrnehmung … und hatte einen Begleiter für sie geschaffen, ein Softwarekind, das die Erinnerungen seines Vaters behalten hatte?
    Wo war die Grenze zwischen einer Selbstverwandlung, die aus einem Todessehnsüchtigen ein freudiges Kind machte … und dem Tod selbst, dem Übergeben der Freuden und Bürden, die er nicht länger ertragen konnte, an jemand anderen?
    Sie forschte in seinem Gesicht nach einer Antwort, aber sie fand nichts.
    Sie sagte: »Du mußt mir sagen, was du getan hast. Ich muß das wissen!«
    Er versprach ihr: »Ich werde es dir erklären. Im nächsten Leben.«
     

EPILOG
    (Vergib nicht den Mangel)
    November 2052
     
    Maria legte drei Kränze bei dem Wandgemälde am Ende der Sackgasse nieder. Es war kein Todestag, aber sie legte dort Blumen nieder, wann immer ihre Stimmung danach war. Sie hatte keine Gräber, die sie schmücken konnte: Ihre Eltern waren eingeäschert worden. Ebenso Paul Durham.
    Langsam wich sie von der Mauer zurück und beobachtete, wie der mit grobem Pinsel gemalte Garten mit seinen korinthischen Säulen und den Olivenhainen beinahe lebendig wurde. Als sie den Punkt erreichte, an dem die Perspektive der
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