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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City
Autoren: Greg Egan
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zu ziehen bereit war? Daß sie die sehnsuchtsvolle Hoffnung ihrer Rückkehr so schnell wie möglich aufgeben wollte? Oder war es nur ein Beweis, wie verzweifelt sie sie zurücksehnte?
    Er sagte: »Bist du sicher, daß du das willst?«
    »Ich bin mir sicher. Wirst du mir beim Programmieren helfen? Du bist doch der Experte für solche Dinge.«
    »Jetzt sofort?«
    »Warum nicht? Es geht doch nur darum, uns das Warten zu ersparen.«
    Peer ließ ein Kontrollpaneel in der Luft vor ihnen erscheinen, und zusammen programmierten sie einen einfachen Wecker.
    Kate drückte den Knopf.
    Verlangsamungsfaktor einhundert. Die Marionetten auf dem Gehweg beschleunigten zu undeutlichen Streifen. Verlangsamungsfaktor zehntausend. Tag und Nacht tuckerten vorbei, dann blitzten sie, dann verwischte der Unterschied. Verlangsamungsfaktor eine Million – sie vermischten sich. Peer blickte hoch und beobachtete, wie der Bogen, den die Sonne am Himmel beschrieb, sich mit den vorgetäuschten Jahreszeiten der Stadt hob und senkte, immer schneller, bis er am Schluß zu einem undeutlichen leuchtenden Band verschmierte. Verlangsamungsfaktor eine Milliarde. Der Anblick wurde vollkommen statisch. Der virtuelle Himmel besaß keine gefälschten astronomischen Langzeitzyklen. Keine Gebäude, die wuchsen oder in sich zusammenbrachen. Die leere, unzerstörbare Stadt tat nichts, außer sich selbst zu wiederholen: existieren, existieren, existieren. Verlangsamungsfaktor eine Billion.
    Peer wandte sich zu Kate um. Sie saß aufmerksam auf dem Boden, den Kopf erhoben, die Augen geweitet, als lauschte sie jemandem. Der Stimme einer elysianischen Überintelligenz – dem Endpunkt einer Milliarden Jahre währenden gesteuerten Mutation, die hinausgriff, um das gesamte TVC-Gitter zu umfassen? Die ihr Schicksal entdeckte? Sie richtete, ihnen verzieh, und sie schließlich befreite?
    Schließlich sagte Peer: »Ich glaube, du hast recht. Sie kommen nicht zurück.« Er warf einen Blick auf das Kontrollpaneel, und ihm wurde schwindlig. Mehr als einhundert Trillionen Jahre Standardzeit waren vergangen. Wenn die Elysianer alle Verbindungen zu ihnen abgeschnitten hatten, war die Standardzeit bedeutungslos geworden. Peer griff nach dem Paneel, um die Verlangsamung aufzuheben, aber Kate hielt seine Hand fest.
    Ruhig sagte sie: »Warum? Laß sie doch für immer weiterlaufen. Es ist nur noch eine Zahl.«
    »Ja.« Er beugte sich zu ihr hinüber und küßte sie auf die Stirn.
    »Ein Befehl pro Jahrhundert. Ein Befehl pro Jahrtausend. Es ist vollkommen gleichgültig. Am Schluß hast du also doch recht behalten.«
    Er wiegte Kate in seinen Armen, während elysianische Äonen vergingen. Er strich über ihr Haar und beobachtete aufmerksam das Kontrollpaneel. Nur eine Zahl bewegte sich; alles andere mit Ausnahme der fremdartigen Vorstellung von verstrichener elysianischer Standardzeit blieb völlig unverändert.
    Die Stadt war nicht mehr länger an das Wachstum der Elysianer gebunden. Sie änderte sich nicht mehr, auf keiner einzigen Ebene. Das bedeutete, daß auch die Infrastruktur, in die Carter sie eingebunden hatte, sich nicht mehr vergrößerte. Der simulierte Computer, der sie betrieb, zusammengesetzt aus Redundanzen der Stadt selbst, war zu einer endlichen Maschine geworden – mit einer endlichen Anzahl möglicher Zustände.
    Sie waren wieder sterblich.
    Es war ein eigenartiges Gefühl. Peer blickte sich auf dem leeren Gehweg um. Er sah auf die Frau in seinen Armen. Er fühlte sich, als wäre er aus einem langen Traum aufgewacht – aber als er sich selbst lauschte, einen Hinweis auf ein neu erwachendes Bewußtsein suchte, fand er nichts. David Hawthorne war ein toter Fremder, ebenso wie die Kopie, die mit Kate durch die Zeitlupenclubs gezogen war – so weit weg wie der Zimmermann, der Mathematiker, der Librettist.
    Wer bin ich ?
    Ohne Kate zu stören öffnete er ein privates Interfacefenster und holte Hunderte identischer anatomischer Zeichnungen der Gehirns auf den Schirm: sein Menü für mentale Parameter. Er drückte auf das Sinnbild mit der Aufschrift KLARHEIT.
    Er hatte Tausende willkürlicher Gründe geschaffen, um zu leben. Er hatte seine persönliche Philosophie fast auf die Spitze getrieben. Aber es gab noch einen letzten Schritt, den er tun mußte.
    Er sagte zu Kate: »Wir werden von hier weggehen. Wir werden unser eigenes Universum starten. Wir hätten das schon vor langer Zeit tun sollen.«
    Kate gab einen unglücklichen Laut von sich. »Wie wird mein Leben ohne
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