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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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Fellmütze, im Arm einen Blumenstrauß für das Grab ihres Vaters. Die Tochter vom Herrn Studienrat Weidenkamp. Das hatten sie jeden in Harmsdorf merken lassen, dass sie was Besseres waren. Schon als Charlotte noch eine Deern war, mit blonden Zöpfen und gestärkter Schürze.
    »Moin«, brummte Hinnarck und guckte demonstrativ von Charlotte zu Emma hinter der Scheibe. Emma war verschwunden. Charlotte zögerte, dann ging sie weiter. Hinnarck atmete erleichtert aus. Wenn man ihn fragte, war sie schuld an Emmas Zustand. Sie musste seiner jungen Frau damals all die Flausen in den Kopf gesetzt haben von Arbeit und Unabhängigkeit. Und er war nicht hier gewesen, um sie zu beschützen. Hinnarck sah auf die Uhr. Dann stellte er den Besen ab. Es war Zeit für Emmas Tabletten.

6 Krimis
    Nikolaus tigerte durch Maditas Wohnung und kam sich vor, als sähe er das Ganze zum ersten Mal. Durch die Schließung des Kinos hatte sich sein Alltag aufgelöst und war einer Art Katerstimmung gewichen, die ihn mit der gewohnten Umgebung fremdeln ließ. Er fühlte sich wie in einem skurrilen Heimatmuseum. Wie konnte sie bloß in diesem voll möblierten Altersheim wohnen?
    Madita, die quer über dem Sofa hing und auf den laufenden Riesenfernseher im Nussbaumdesign starrte, schien das überhaupt nicht zu merken. Nikolaus hatte es langsam satt, ignoriert zu werden. Normalerweise trieb Madita ihn damit in den Wahnsinn, dass sie ständig drei Sachen auf einmal dachte oder tat. Wenn sie aber einmal damit aufhörte, dann ging ihre Aktivität auf null, wie bei einem Androiden, den man abschalten konnte. Er hatte keine Ahnung, wie lange ihr Stand-by-Modus diesmal dauern würde.
    Unentschlossen kam er vor dem furnierten Bücherregal zum Stehen und zog wahllos einen der vielen Krimis heraus. »Deine Oma muss ein Heidengeld für diese Dinger ausgegeben haben«, versuchte er ein Gespräch in Gang zu bringen.
    Nichts.
    Er trank einen großen Schluck Wodka aus der Flasche auf dem Tisch, die letzten Reste aus der Kinobar.
    Nichts.
    Er fasste in seine Jackentasche, zog das ganze Geld heraus und ließ es über Maditas Kopf frei. »Armes reiches Mädchen! Sitzt in der Wohnung ihrer toten Oma und weiß nicht, was sie will.«
    Die Provo-Nummer drang zu ihr durch. »Lass meine Oma in Ruhe!«, fauchte Madita. »Die war ihr Leben lang Putzfrau und hat sich nicht kaufen lassen!« Und wieder zurück auf den Fernseher.
    Nikolaus verfluchte sich, weil er die Oma erwähnt hatte. Sie war vielleicht Maditas einziges Vorbild, wenn sie überhaupt eins hatte. Als die Oma starb, hatte Madita die Wohnung in der runtergekommenen Arbeitersiedlung mit allem Drum und Dran übernommen. Das war die Zeit, als sie sich in dem alten Kino über den Weg liefen. Sein eigenes großbürgerliches Elternhaus steckte ihm noch in den Knochen, und Madita inmitten ihres verblichenen proletarischen Miefs war ihm exotisch und begehrenswert erschienen. Doch im Lauf der Zeit hatte er sich daran gewöhnt.
    Er trank weiter und starrte abwechselnd auf seine Freundin und auf den Krimi in seiner Hand. »Ich wünschte, ich wäre so ein Detektiv und könnte mich in anderer Leute Leben rumtreiben statt in meinem eigenen«, murmelte er vor sich hin und schielte auf Madita. Schon besser. »Hey, wir könnten ein Detektivpaar sein, so wie …«, er ließ sich von der Bücherwand inspirieren, »Nick und Nora bei Hammett oder Maggie und Nick bei Carlson.«
    »Hab gar nicht gewusst, dass du die alle gelesen hast«, knurrte Madita, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden.
    Noch ein Schluck und – »Nick und Mattie!«, prustete Nikolaus los. War das etwa ein Lächeln? »Aber wir haben gar keinen Fall!« Suchend sah er sich um. »Keine Geheimfächer, keine versteckten Botschaften!« Die Wodkaflasche eilte ihm zu Hilfe. »Mattie!«
    Für einen kurzen Moment sah er sie doppelt auf dem Sofa liegen. Und nicht nur das. Da lagen zwei verschiedene Maditas, eine in Jeans und Turnschuhen und eine in einem bunten Sari. Beide schauten ihn an. Nikolaus kniff die Augen zusammen, bis die indische Madita wieder verschwand.
    »Na klar! Dein richtiger Vater. Der große Unbekannte aus Indien!« Maditas Gesicht zeigte ihm, dass er heute noch nicht alle Fettnäpfchen hinter sich gebracht hatte. Aber dank des Wodkas war ihm das jetzt egal. Seine neue Rolle gab ihm Mut. »Wenn wir ihn finden, kriegst du das ganze Geld, wenn nicht, kriege ich es.«
    »Du spinnst ja. Nimm das Geld, ich will’s nicht.« Sie war wütend, aber wenigstens war
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