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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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den Büchern ihres Vaters stand die Staffelei mit dem angefangenen Sonnenblumenfeld. Sie war nicht damit fertig geworden im letzten Sommer. Nun stand es herum, fing Staub und ärgerte sie, wann immer ihr Blick darauf fiel.
    Charlotte setzte sich, hob die Tasse mit dem Zwiebelmuster, blau auf weiß, und trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken. Vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet lagen Bögen weißen Pappkartons und daneben, säuberlich aufgereiht, fünf oder sechs nahezu perfekt ausgeführte schwarze Scherenschnitte. Zufrieden mit ihrer Arbeit vom Vorabend betrachtete sie die feinen Konturen. Schließlich wählte sie einen aus, legte ihn zwischen einen einmal gefalteten Bogen weißer Pappe und schrieb darauf in geschwungener altdeutscher Handschrift: An mein geliebtes Patenkind.
    Der letzte Schnörkel wäre beinahe verrutscht, weil sie plötzlich eine leichte Berührung an der Schulter spürte.
    »Ludwig, ich habe dich gar nicht –« Der Satz blieb unvollendet, als sie sich umdrehte und ihn ansah. Er war blass und unrasiert, seine Augen gerötet. Das Gewicht des Fernglases um seinen Hals schien den großen schweren Mann zu ihr niederzuziehen. »Hast du wieder nicht geschlafen?«
    Er lächelte und wischte die Besorgnis mit einer weiteren Berührung ihrer Schulter beiseite. »Charlottchen, du weißt doch, wer die Rohrdommel beobachten will, muss früh aufstehen. Ich hätte sie fast übersehen. Ganz hinten im Schilf hat sie sich versteckt vor all dem …« Er schien nach dem richtigen Wort für all das zu suchen und schnaubte verächtlich.
    Charlotte legte ihre Hand auf seinen Arm. Er brauchte es ihr nicht zu erklären. Sie verstand auch so, was er meinte.

4 Diva
    Du ziehst den Geruch nach abgestandenem Bier und kalter Asche durch die Nase, der noch von der Party im Saal hängt. Halbherzig fegst du ein paar Kippen zusammen. Werden die anderen dich für verrückt halten, wenn du jetzt laut sagst: »Ich liebe diesen Gestank«?
    Nein, das ist kein gutes Thema. Guck dich um, präg dir den Raum ein, konserviere deine Erinnerungen. Mit den neuen Multiplexkinos – verstellbare Sitze, Dolby Surround – hättet ihr sowieso nicht mithalten können. Dein Blick wandert über die verblichene rote Textiltapete, die dunklen Holzdielen, die jedes Mal knarren, wenn einer zu spät kommt, und bleibt an dem riesigen Kristalllüster hängen, der über dem Ganzen schwebt wie eine alternde Diva. Ihr habt beschlossen, dass sie hängen bleibt, niemand nimmt sie mit nach Hause. Basisdemokratisch bis zum Letzten.
    Der Kopf von Nikolaus taucht hinter dem Pult auf, wo er seine Kabel und Geräte zusammenpackt. Obwohl ihm seine Haare wie immer ins Gesicht hängen, siehst du den kurzen prüfenden Blick, den er dir zuwirft. Markus rumort unsichtbar im Projektorraum. Annette steht nutzlos und träumend herum und streichelt zum x-ten Mal in den letzten zehn Minuten zärtlich ihren Bauch. Du zwingst dich zu der nüchternen Überlegung, ob es Neid ist, der in dir hochsteigt. Oder die Wut darüber, dass sie nur darauf zu warten scheint, endlich in ihre neue Welt aus Geburtsvorbereitungskurs und Nestbau verschwinden zu können. Vor deinem inneren Auge erscheint ein Bild von dir, Nikolaus und einem schreienden Kind, eingesperrt in deiner Wohnung. Kein Neid, entscheidest du, nicht gerade unparteiische Richterin.
    Was machst du hier eigentlich, vertrödelst deine Zeit mit Aufräumen, wo doch spätestens morgen sowieso alles in Schutt und Asche liegt. Da ist er wieder, hinter seinem Pult. Nikolaus geht dir absichtlich aus dem Weg, meidet den Blickkontakt. Als wärst du eine tickende Zeitbombe.
    Endlich hörst du hinter deinem Rücken die Tür gehen und weißt, ohne dich umzugucken, dass Theresa zurück ist. Wie aus dem Nichts tauchen um dich herum die anderen auf, erleichtert durchbrechen ihre Stimmen die Stille. Du drehst dich um und stützt dich auf deinen Besen. Theresa sieht ernsthaft und ein bisschen abwesend aus, wie so oft. Wahrscheinlich denkt sie über ihre Doktorarbeit nach, die sie jetzt in Angriff nehmen will. Die Konstruktion des Weiblichen in den Filmen der Nouvelle Vague. Du berufst zum zweiten Mal deinen Neid-Gerichtshof ein. Ihr hattet damals einen Riesenstreit, als du dich wegen dem Kino exmatrikuliert hast.
    »Du hältst dir alle Türen offen!«, hast du sie angebrüllt, als sie dir vorwarf, taktisch unklug zu handeln. Du wolltest ihr klar machen, dass es darum geht, eine Entscheidung zu treffen und nicht nur nebenbei ein bisschen Kino zu
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