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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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verschiebt sich dein mögliches Scheitern doch bloß nach hinten.
    Du versuchst, dich innerlich zu lockern, aber die fehlende Vertrautheit der Wohnung trifft dich wie ein Schock. Du warst noch nie gut in provisorischen Lebenszuständen. Immer brauchst du ein Geländer, an dem du dich festhalten kannst. Menschen. Gegenstände. Vertraute Wege. Willst du das alles auf einen Bus reduzieren, der dich wie ein Raumschiff durchs Universum trägt?
    Um dich herum stapeln sich Kisten und Filmdosen. Nicht abschweifen! Der Projektor! Er baut sich nicht von selber zusammen, auch wenn du noch so lange wartest. Du merkst, wie sich dein Magen verkrampft.
    »Reiß dich doch mal zusammen, du Schlampe!« Mensch, jetzt fängst du schon an, mit dir selbst zu reden. Ein schlechtes Zeichen. Ganz schlecht. Hat es bei Emma auch so angefangen? Du bist aber nicht Emma. Emma hatte Angst und sie hatte allen Grund dazu. Sie hat die Fäden ihrer Angst zusammengerollt und zu einem dicken Knäuel gewickelt, bis du daran gezogen hast und der ganze verfilzte Wust sich wieder aufgereppelt hat.
    Du sammelst deine Gedanken auf. Es ist eine banale mechanische Angelegenheit, vor der du scheust. Wenn du es nicht bei Tageslicht zu Ende bringst, wirst du ganz andere Probleme haben. Morgen früh, in weniger als 24 Stunden, kommen Theresa und Markus, um dir zu helfen, den ganzen Krempel im Bus unterzubringen. Also mach dich an die Arbeit.
    Einen Film kann man immer wieder auf Anfang spulen. Das Leben nicht.

2 Abspann
    Debra Paget und Paul Hubschmid sahen sich tief in die Augen und versanken in einem endlosen indogermanischen Kuss. Nikolaus zappelte nervös hinter dem Mischpult auf und ab, die Kopfhörer schief auf einem Ohr, um seinen Einsatz nicht zu verpassen. Pauken über dem CCC-Logo. Abspann. Und los!
    Während sich der Vorhang schloss, ließ er die Musik fast nahtlos auf die Boxen hinüberfließen. Fast. Die Menge im Saal hatte es nicht mitbekommen, aber er hatte wieder mal den Bruchteil einer Sekunde zu früh die Regler hochgeschoben. Unzufrieden biss er sich auf die Lippe und ließ den Beat reinknallen. Die Gesichter schossen zu ihm herum. Er musste lachen. Einige lachten zurück und setzten sich in Bewegung. Aber er entspannte sich erst, als mehr und mehr Leute sich dem Rhythmus ergaben. Er war bestimmt kein begnadeter Musiker, aber er verstand es, Effekte zu setzen. Und dies war immerhin sein Laden.
    Am Anfang hatten sie versucht, alles zusammen zu planen, das Kinoprogramm, die Partys, die Bar. Aber Theresa und Madita hatten auch ohne große Gruppenentscheidungen schnell klar gemacht, wer hier Kino machte und wer nicht. Sie brauchten niemand anders, um ihre endlosen Diskussionen über den Verleihkatalogen zu führen. Sie fuhren auf Festivals, knüpften Kontakte und schon im zweiten Jahr holten sie den ersten Förderpreis für die Programmgestaltung nach Hause. Annette und Markus zogen sich auf das sichere Terrain von Einkauf und Technik zurück, und er selber hatte sich mit seinen auf Filmmusik spezialisierten Clubnights seine eigene Nische geschaffen.
    »Nicht mehr lange«, korrigierte er sich in Gedanken und strich sich ungeduldig die Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm dauernd vor den Augen hing. Abschneiden wollte er sie aber auf keinen Fall, denn er fand, so sah er weniger nett aus. Er versuchte die Datumsanzeige auf seiner Uhr zu erkennen. Sie zeigte bereits den zweiten Januar. Wie jedes Jahr hatten sie gleich nach Silvester die lange Nacht der Klassiker hinterhergeschoben, als Chill-out sozusagen. Diesmal war es gleichzeitig ihre Abschiedsparty, und das war’s dann.
    Die Zukunft leuchtete nicht besonders hell. Von der Abfindung würde er eine Weile leben können und dann würde das Getingel durch die Clubszene beginnen, immer in der Hoffnung auf einen Plattenvertrag. Wenn alle Stricke rissen, würde er eben seinen Vater anrufen müssen. Seit er das Jurastudium geschmissen hatte, war zwar Funkstille, aber das würde sich schon irgendwie wieder hinbiegen lassen.
    »Du ruinierst deine Zukunft«, hatte er in den Augen seines Vaters gelesen.
    »Und alles wegen dieses Mädchens«, hatten die Augen seiner Mutter hinzugefügt, in grammatisch korrektem Genitiv. Schweigend saßen sie auf dem Sofa, neben sich, auf einem antiken Tischchen zwischen den Bildern seiner Schwestern, das Foto von ihm selbst: ein strahlender kleiner Junge mit blonden Locken.
    Unwillkürlich suchte er auf der Bühne und im tiefer gelegenen Kinosaal nach Madita. Zuletzt hatte er
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