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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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er nicht mehr Luft für sie.
    »Und was willst du sonst machen?«
    »Ich will ein Kino, das mir keiner wegnehmen kann!«
    Er wagte es, sich neben sie zu setzen. »Aber ohne Kohle kein Kino, Schätzchen!«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Madita rückte von ihm ab und sah ihm direkt ins Gesicht. »Du willst ein Spiel spielen, ja? Aber das kannst du vergessen. Du weißt genau, dass Emma krank ist. Und Hinnarck – du hast es immer noch nicht kapiert. In Norddeutschland schweigt man lieber und trinkt noch einen. Prost!«, sagte sie, hob die Wodkaflasche an den Mund, nahm einen tiefen Schluck und zwinkerte ihm zu.
    Oder hatte er schon wieder eine Halluzination? War sie wirklich aus ihrer Starre aufgewacht? Ihr Gesicht war jetzt ganz nah an seinem. Unsicher wich er ihrem Blick aus und drehte den Kopf zur Seite. Wollte sie ihn auflaufen lassen? Maditas Oma in ihrem Bilderrahmen sah ihn auch an.
    »Komm schon, du Krimiheld«, säuselte es neben ihm und er fühlte Maditas Hand unter seinem T-Shirt.
    Mit letzter Kraft griff er nach dem Bilderrahmen und legte ihn mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch. Dann drehte er sich zu ihr um und sie kullerten vom Sofa auf den falschen Perserteppich.

7 Nachtschicht
    Durch die offene Stubentür dringt ein Familienfest. Leute sitzen um einen großen Tisch, essen Grünkohl und trinken Korn. Du selbst, kleines Mädchen mit Pferdeschwanz, sitzt auf der Treppe im Flur und spielst mit einem Schlüsselanhänger. Ein kleiner Holzelefant, mit schillernden Pailletten besetzt. Das Stimmengewirr vermischt sich mit dem Dröhnen des Fernsehers aus dem Zimmer gegenüber. Du weißt, da sitzt deine Mutter ganz allein, guckt einen ihrer kitschigen Nachmittagsschinken mit turbantragenden Indern und heult. Hinnarck schwankt aus dem Festzimmer an dir vorbei zu Emma. Sie streiten sich, weil Emma nicht rüberkommt.
    Und dann – eine Tante? Wohl eine von Hinnarcks Schwestern auf dem Rückweg vom Klo. Entdeckt dich auf der Treppe.
    »Na du kleene Schwatte. Dich hätten se glatt mitgenommen damals. Hahaha!« Das Lachen dröhnt in deinen Ohren. »Nur ein Spaß, nicht weinen, Lütte. Komm zu Tante Marianne.«
    Du schießt aus dem Schlaf und schnappst nach Luft. Nikolaus befreit sich brummend aus deinem Arm und schläft weiter. Reste von Traumbildern legen sich über deine Wahrnehmung. Du willst dich aufsetzen und stößt mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Wo bist du? Langsam kommt die Erinnerung. Du liegst auf dem Boden. Wenn du die Hand auf den Unterleib legst, spürst du noch ein leichtes Ziehen. Sex und Versöhnung, ein altbewährtes Team, wie du und Nikolaus. Vor allem hat er endlich aufgehört zu reden. Sonst hätte er immer weiter herumgeritten auf dem Inder.
    Allein die Vorstellung, diesen Mann zu treffen, verursacht dir kalte Schweißausbrüche. Du hast dir alle Mühe gegeben, die Sache zu den Akten zu legen und dein eigenes Leben zu leben. Du bist du, der Rest ist eine Geschichte zwischen Emma und Hinnarck. Und dem Inder. Du weißt ja nicht mal seinen Namen.
    Als du klein warst, hat Emma dir das Dschungelbuch vorgelesen und dich Mogly genannt. Mein kleiner Mogly. Dann, eines Tages, als du aus der Schule gekommen bist, wurde aus dem Spiel plötzlich Ernst. Mogly kam schließlich aus Indien. Dschungelbuch-Land.
    »Unser kleines Geheimnis«, hat Emma gesagt. Sie hat gelacht, bis du nicht mehr sicher warst, ob sie tatsächlich lachte oder weinte. Du hast dir die Ohren zugehalten, und wie in einem Stummfilm ist sie vor deiner Nase zusammengeklappt. So hat euch Hinnarck gefunden, als er von der Arbeit kam. Er hat es dir auf biologische Weise zu erklären versucht. Durch seine Augen gesehen, wurde es dir peinlich.
    Ein paar Jahre später, als es mit Emma bergab ging, hast du angefangen, dem Inder die Schuld zu geben. Immer wieder hast du sie gefragt, was passiert ist. Sie hat dir nie geantwortet. Und irgendwann ist es dir egal geworden. Du weißt, dass die Gleichgültigkeit, die du heute dem Zustand deiner Mutter entgegenbringst, andere Menschen erschreckt. Aber wie sollst du es erklären? Wie kannst du die unaussprechliche Müdigkeit erklären, die dich befallen hat, als dir klar wurde, dass ihr Zustand keine Phase ist, keine Zeit, die man durchstehen kann, sondern etwas Endgültiges, Unabänderliches? Manchmal hast du noch jetzt solche Sehnsucht nach Emma, dass es wehtut. Nur dass es Emma nicht mehr gibt. Nicht wirklich.
    Dein Kopf hat eine Nachtschicht eingelegt und du verwirfst den Gedanken weiterzuschlafen.
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