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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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daran, wie du mit Tim vor dem Fernseher gesessen hast, als die Bilder von Rostock in den Nachrichten kamen. Tagelang deutscher Mob, es war nicht zum Aushalten. Du wolltest hinfahren zur Demo. Tim hat einen Kumpel bei der Polizei angerufen, und der meinte, ihr würdet sowieso nicht durchkommen. Typisch Tim, immer pragmatisch. Ein paar Monate später der Anschlag von Mölln. Nah, ganz nah, nur ein paar Kilometer weit weg von Harmsdorf. Du bist richtig paranoid geworden, hast dir die vertrauten Gesichter angeguckt und dich gefragt, ob sie sich hinter deinem Rücken in ausländerfeindliche Fratzen verwandeln.
    Tim war entsetzt über deine Horrorvisionen. »Madita, du kennst die Leute in Harmsdorf seit deiner Kindheit. Du bist mit ihnen aufgewachsen. Niemand hier würde so was machen!«
    Du hast deine Sachen gepackt und bist nach Hamburg gezogen, einen Studienplatz als rettenden Anker vor Augen. Tim ist raus auf den Bootssteg gegangen und hat gesagt, in der Stadt würde er ersticken.
    Tim Helling aus dem Sportverein, fast zehn Jahre älter als du, der sich mit zwei Freunden das alte Bootshaus am See ausgebaut hat. Tim, der begnadete Tischler. Tim, der leidenschaftliche Surfer. Auf einer der legendären Partys im Bootshaus habt ihr plötzlich gemerkt, dass dein Welpenschutz nicht mehr aktiviert war. Zwei Wochen später bist du bei ihm eingezogen. Hinnarck wurde nicht mal gefragt. Es war eine Beziehung ohne große Dramen und Enttäuschungen. Eigentlich bist du von der Kindheit direkt übergewechselt in eine nette, liebevolle Ehe.
    »Wir bleiben zusammen, ich komme jedes Wochenende nach Hause«, hast du ihm versprochen und du hast es gemacht. Drei Jahre lang. Ihr habt geglaubt, ihr schafft das, wer, wenn nicht ihr.
    Heute wohnt deine Schulfreundin Lisa im Bootshaus. In deinem Haus, mit deinem Mann, mit deinem Hund, mit ihrem gemeinsamen Kind. Es ist schon fast ein Jahr alt und du hast es noch nicht mal fertig gebracht, sie zu besuchen.
    Mattie, die Detektivin, muss ganz schön geschickt sein, um alle deine Leichen im Keller zu umschiffen.

10 Interview
    »In Indien weiß man heute sehr wenig über die Legion«, sagte Mehmet vorsichtig und suchte unauffällig nach dem Aufnahmeknopf seines neuen Diktiergeräts.
    Hauser löste seinen Blick nur langsam vom Bildschirm, auf dem die alten Aufnahmen jetzt erloschen waren. »In Deutschland ebenfalls«, murmelte er, schien sich dann plötzlich zu erinnern, dass er einem Fremden gegenübersaß, und straffte sich. »Fragen Sie, junger Freund, ich werde nach bestem Wissen und Gewissen antworten.«
    »Sie waren von Anfang an dabei?« Er wollte es langsam angehen lassen, aber Hauser schien es kaum abwarten zu können, seine Geschichte an den Mann zu bringen.
    »Es war ein Geheimauftrag. Mein Kamerad Weidenkamp«, er nickte zu der Frau hinüber, »und ich wurden ins Lager Frankenberg geschickt. Unser Auftrag lautete, eine Legion auszubilden, die ausschließlich aus indischen Kriegsgefangenen bestand. Wir mussten bei null anfangen, Sie verstehen.«
    Mehmet verstand.
    »Da war eigentlich nur ein schlammiger Acker. Und ich weiß noch, da stand ein Mann an einen Zaun gelehnt und schien etwas zu sehen, was es noch gar nicht gab. Er hatte einen visionären Geist, Ihr Subhas Chandra Bose.«
    »Zu Bose kommen wir später noch«, versuchte Mehmet ihn wieder in die richtige Bahn zu bringen. »Die Legion hatte den Auftrag, ausschließlich gegen die Engländer zu kämpfen?« Er merkte, dass er unbewusst die Wortwahl des alten Mannes übernahm. ›Ausschließlich‹ – so ein Wort konnte es nur auf Deutsch geben. Es klang so endgültig.
    Hauser schüttelte ungeduldig den Kopf. »Die Details haben die hohen Tiere vom Reichsaußenministerium mit Bose direkt ausgearbeitet. Wir Offiziere machten uns derweil an die Arbeit. Wir ließen die Fahnen mit dem springenden Tiger anfertigen. Wir entwickelten ein militärisches Wörterbuch in Deutsch-Hindustanisch. Und wir bildeten die Legion an den modernsten deutschen Waffen aus.«
    Er redet wie ein Entwicklungshelfer, dachte Mehmet. Laut sagte er: »Und dann wurden Sie nach Frankreich geschickt.«
    Hauser nickte wieder. »Jaja, aber das war viel später, 1943. Die Legion war inzwischen auf 3000 gut ausgebildete Männer angewachsen. Es gab sogar indische Offiziere. Wir wurden an den Atlantik geschickt, um britische Angriffe abzuwehren. Doch die Briten ließen sich nicht blicken. Also bauten wir Verteidigungsanlagen. Einmal kam sogar Generalfeldmarschall Rommel.
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