Cut
Ärztin zu bestaunen, ich weiß es nicht. Eines Tages kam Emma in die Praxis und fragte mich, ob sie als Sprechstundenhilfe bei mir anfangen könnte. Sie war so …« Charlotte lächelt und du wünschst dir, du könntest sehen, was sie gerade sieht. »… so jung und so offen. Sie langweilte sich, wenn Hinnarck wochenlang auf Montage war. In dem großen Haus am Bahnhof mit seinen Eltern und seinen Geschwistern fühlte sie sich immer noch fremd. Als sie dann bei mir angefangen hatte, ergab es sich, dass wir ab und zu nach Hamburg fuhren, ins Theater oder einfach nur zum Bummeln. Emma blühte dann richtig auf. Sie hatte schreckliches Heimweh nach Hamburg, kannst du dir das vorstellen?«
Und ob du das kannst.
13 Erster Song
Auftakt. Geigen. Emma und Charlotte wandern durch Planten un Blomen und schauen sich fremdartige Pflanzen an. Es ist heiß. Emma trägt Minirock und Bluse und wirkt sehr jung, Charlotte etwas burschikoser in Hosen. Auf Bänken sitzen Jugendliche mit langen Haaren. Jemand rezitiert Tagore. Emma ist begeistert. Einer spielt Sitar. Die Melodie mischt sich subtil mit den Geigenklängen.
Cut. Ein Pavillon in der Mitte der Anlage, in dem man sich samstags zum Tanztee trifft. An einem Tisch sitzen zwei junge indische Männer in westlicher Kleidung, etwas abseits vom Rummel. Die beiden Frauen kommen dazu. Emma Junghans und Anand Kumar starren sich an.
Cut. Bäng. Ein berauschendes musikalisches Arrangement aus Rock’n’Roll und klassischer indischer Musik setzt ein. Emma und Anand bewegen sich wie hypnotisiert auf der Tanzfläche. Das Publikum jubelt.
In schneller Schnittfolge: Emma und Anand wirbeln tanzend durch verschiedene Hamburger Settings. Klick. Sie fotografiert ihn mit Turban – aus einer leichten Sommerjacke gewickelt. Klick. Er fotografiert sie im Wildledermini, mit Sonnenbrille und Zigarette.
Cut. Die Musik kommt zum Höhepunkt. Emma und Anand auf dem Hamburger Dom. Sie küssen sich fast, schrecken zurück. Die Geisterbahn startet und sie verschwinden lachend im Dunkel.
Cut. Wieder die Geigen. Emma steht am Hafen und winkt. Anand lehnt an der Reling eines großen Schiffes, das gerade ausläuft. Er trägt jetzt eine Uniform und winkt zurück. Ausklang.
14 London
»Und es kam zum Schlimmsten. Emma wurde schwanger.«
Charlotte merkte sofort, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, denn Madita versteifte sich und zog den Arm unter ihrem heraus. Sie hatte den dünnen Faden unachtsam zerrissen und nun tat es ihr Leid.
»Ja, das weiß ich doch alles.« Die junge Frau, der sie deutsche Grammatik beigebracht hatte, erschien ihr mit einem Mal wieder meilenweit entfernt. »Emma kroch zu Kreuze oder besser zu Hinnarck zurück und schickte den Inder in die Wüste. Und dann? Hast du nie wieder was von ihm gehört?«
Charlotte zupfte nervös am Ärmel ihres Mantels und schüttelte den Kopf. Es war alles so lange her. Sie hatte schon seit Jahren nicht mehr an diese unglückselige Affäre gedacht. Plötzlich fiel ihr doch noch etwas ein.
»Ich glaube, Emma hat mir einmal erzählt, dass er das Leben als Schiffsarzt ziemlich satt hatte«, sagte sie vorsichtig, »und dass er sich in London niederlassen wollte, sobald das Geld reichte.«
»London?« Madita war ganz blass um die Nase.
»Mehr hat sie wirklich nicht gesagt, Kind.«
Wer weiß, was aus seinen Plänen geworden war. Er konnte überall sein. Sie wollte Madita raten, die Sache auf sich beruhen zu lassen, aber eine Bewegung im Schilf lenkte ihre Aufmerksamkeit ab.
»Ludwig, du bist ja schon wieder auf!« Sie lief auf ihn zu und raschelte ordentlich, damit er nicht erschrak, wenn sie ihn berührte. Er reagierte manchmal so empfindlich. »Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen!«
Unwillig nahm er das Fernglas von den Augen und folgte ihr zurück zum Strandweg, wo Madita fröstelnd von einem Bein auf das andere trat. Sie war schon als Kind so verfroren gewesen. Wahrscheinlich rauchte sie auch noch.
»Das ist Madita, meine Patentochter. Ich habe dir schon von ihr erzählt.« Ludwig schwankte ein wenig an ihrem Arm und brummelte einen Gruß.
Madita schien sich gar nicht richtig für Ludwig zu interessieren. »Guten Tag. Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Ihre Stimme klang gehetzt.
Von links näherte sich die junge Familie aus dem Bootshaus mit ihrem Hund. Sie waren wie immer ganz mit sich beschäftigt.
Charlotte machte einen letzten Versuch. »Willst du nicht mit reinkommen und wir klönen gemütlich bei einer Tasse Kaffee?«, fragte sie
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