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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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Leise stehst du im Dunkeln auf und gehst aufs Klo, während deine Hand automatisch nach dem Stapel Post greift, der neben dem Telefon liegt. Du machst das Licht an, setzt dich auf die geschlossene Kloschüssel und blätterst darin herum. Rechnungen und die alljährliche Neujahrspost von Tante Charlotte.
    Du öffnest den Brief und starrst auf die Karte, aber deine Gedanken sind immer noch bei Emma. In den letzten vier Jahren hast du wenig an sie gedacht, sie kaum mehr als zweimal im Jahr gesehen. Selbst an Weihnachten musste das Kino als Ausrede herhalten, auch wenn deine X-Mas-Special-Programme manchmal vor fünf Leuten liefen. Nur wird es in diesem Jahr kein Kino mehr geben. Allein der Gedanke macht dich so müde, dass du für immer hier sitzen bleiben möchtest, auf dem Klo. Du fühlst, wie es wieder in dir hochkriecht, die gleiche bleierne Schwere wie damals, als du nicht mehr rausgegangen bist. Du hast immer gewusst, dass es was mit Emma zu tun hat. Als könntest du nur durch totale Untätigkeit erreichen, dass sie sich bewegt.
    Wenn Nikolaus wüsste, wie oft du dir schon gewünscht hast, jemand anders zu sein. Jemand wie er – mit einer Mutter, mit der man sich streitet und wieder verträgt, oder auch nicht, aber die nicht vor sich hin vegetiert wie ein halb toter Zombie. Vielleicht hat er Recht. Vielleicht hilft es, in eine Rolle zu schlüpfen. Stell dir vor, du bist wirklich eine Detektivin. Vielleicht kann sie herausfinden, was es auf sich hat mit dir und Emma. Darauf zu warten, dass sie dir irgendwann die Wahrheit erzählt, hat sich doch wohl langsam erledigt. Es gibt nur einen anderen Menschen, den du danach fragen kannst. Vergiss Madita. Lass sie schlafen. Steh auf, Mattie.

    Am nächsten Morgen fand sich Nikolaus, in Omas dicke Federdecke eingewickelt, halb unter dem Couchtisch eingezwängt wieder. Durch die Gardine fielen matte Sonnenstrahlen auf den Teppich. Er schloss die Augen. Jetzt hatte er wirklich einen Kater.
    Die Hand am Kopf, drehte er sich theatralisch auf die andere Seite, um Maditas Mitleid zu wecken und einen Kaffee zu ergattern. Der Auftritt war umsonst. Statt seiner Freundin lag da nur ein Stück weiße Pappe. Als er sie aufklappte, fiel ihm ein kleiner schwarzer Scherenschnitt entgegen. Er musste ihn ein paarmal drehen, bis er erkannte, dass es sich um einen orientalischen Palast handelte, über dem ein winziger Stern hing. Verwundert tastete er nach dem aufgerissenen Briefumschlag und versuchte die geschwungene Handschrift darauf zu lesen. Erst als seine müden Augen langsam scharf stellten, sah er, dass Mattie in ihrer Krakelschrift etwas daneben gekritzelt hatte.
    »Die Wette gilt!«, entzifferte Nick, der frisch gebackene Detektiv, und wankte aufs Klo.

8 Hindustan
    Mehmet Khan stand vor dem alten Backsteinhaus unten am See und spürte, wie die Kälte langsam an seinen Beinen nach oben kroch. Normalerweise machte ihm der Winter nicht viel aus, aber er hielt sich ja auch hauptsächlich in Städten auf. Er hatte nie verstanden, warum viele seiner britischen Freunde London im Winter freiwillig verließen, um lange Spaziergänge in eisigem Wind zu machen. Allen voran seine Frau Liz, die ihn wieder zu einem Weihnachtsfest bei ihrer Familie in Schottland überreden wollte. Schließlich hatten sie sich doch auf Paris geeinigt und die kleine Leila alleine zu ihren Großeltern geschickt. Für sie gab es nichts Schöneres als im Schnee herumzutoben. Seine Tochter musste von ihrer Mutter ein Gen mitbekommen haben, das sie völlig unempfindlich gegen Kälte machte.
    Liz’ Bedingung für Paris war, dass er nicht arbeiten würde. Er hatte sich das neu eröffnete Archiv mit Tagebüchern aus der Résistance eigentlich auch nur interessehalber angucken wollen. Und jetzt war Liz entnervt nach London zurückgeflogen und er war hier, mitten in einer neuen Recherche.
    Auch wenn die Sache schon so lange zurücklag, spürte er denselben Kitzel wie bei seiner Suche nach dem Typen, der im letzten Jahr die Nagelbomben in Brixton gelegt hatte. Vielleicht, weil er kurz davor war, ein Kriegsverbrechen aufzudecken. Vielleicht aber auch, weil es so unklar war, wo in diesem Fall die Grenzen zwischen Gut und Böse verliefen. In der Brixton-Geschichte hatte er entgegen den Behauptungen der Polizei nachweisen können, dass der Attentäter eine lückenlose Biografie in der neofaschistischen Szene hatte. Er fragte sich, wo er diesmal landen würde.
    Ein naiver junger Historiker im Archiv des Deutschen
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