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Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Titel: Cristóbal: oder Die Reise nach Indien
Autoren: Erik Orsenna
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Rasse von Doggen zu züchten, von denen man viel erwarten konnte.
    «Schaut Euch den hier an. Ich habe ihm den Namen Leoncico gegeben. Er ist am eifrigsten.»
    Alvarez und seine Freunde verbargen ihre Zufriedenheit nicht.
    «Die Indianer, die uns die Stirn bieten, werden was zu erzählen haben.»
    Drei Tage später reisten wir aufs Land. Bei La Vega hatte sich ein Dorf erhoben. Ein Dutzend der scharfen Hunde ging voraus. Balboa hatte Mühe sie festzuhalten. Er musste rennen, so sehr zogen sie an ihren Leinen.
     

    Das schlimmste Grauen beginnt mit einer Überraschung. Ich sah, wie die Indianer große Augen machten, als sie die Meute sahen, ohne zu begreifen.
    Ich war häufig durch die Dörfer der Insel gekommen. Ich hatte Hunde gesehen. Normale Hunde von mittlerer Größe und friedlichem Gebaren. Sie lebten mit den Menschen in Gemeinschaft. Ab und zu aßen die Indianer diese Hunde. Wie oft hatte man mir Hundefleisch zum Essen angeboten? Doch sie baten um Verzeihung, bevor sie sie schlachteten. Die Hunde nickten. Sie wussten, dass die Pflicht, sich zu ernähren, bisweilen zu bedauerlichen Gewaltakten führt. Diese Unannehmlichkeiten erschütterten das gute Einvernehmen zwischen Menschen und Hunden nicht.
    Aber was war das für eine Tierrasse, die knurrend, zähnefletschend, wutschäumend auf sie zukam?
    Die Indianer hatten nicht lange Zeit, sich das zu fragen. Denn die Raubtiere wurden losgemacht. Die Indianer nahmen Reißaus. Einer nach dem anderen wurde eingeholt. Zerfleischt. Dann langsam, gewissenhaft verschlungen. Sogar ihre Knochen wurden zermalmt.
    «Und, Gouverneur, was haltet Ihr davon?»
    Vergnügt und sich lautstark über das Entsetzen der Indianer belustigend, hatten Alvarez und seine Soldaten die Szene verfolgt.
    «Warum sollen wir uns abmühen? Diese tüchtigen Tiere leisten ganze Arbeit. Habt Ihr gesehen? Ein paar Hunde tun es schneller und besser als eine ganze Armee.»
    Die tüchtigen Tiere kamen nach erfülltem Auftrag mit bluttriefenden Lefzen zurück, um von ihrem Herrn gelobt zu werden.
    Der Fleischerhund Leoncico hatte nicht enttäuscht: Er allein war drei Wilden an die Kehle gesprungen, die Anstalten machten, sich zu wehren. Dann hatte er, sicher um sich zu belohnen, zwei Kinder aufgestöbert, die sich im Heu versteckt hatten. Er hatte sie hinuntergeschlungen.
    Schande über mich, dass ich ihm zum Dank den Kopf getätschelt habe.
    Auf dem Rückweg drückte ich stets von Neuem meine Zufriedenheit aus. Nachrichten, vor allen Dingen schlechte Nachrichten, verbreiteten sich blitzschnell auf der Insel, alle Indianer würden unverzüglich wissen, welch schreckliche Verbündete wir erhalten hatten. Bald würde Friede herrschen. Der Züchter prahlte. Er reichte vor Stolz fast bis in den Himmel. Er antwortete, wie Mächtige antworten, schnippisch.
    «Meine Ungeheuer? Ich sage Euch, anfangs waren sie nur große Wachhunde, ganz gewöhnliche Hirtenhunde…»
    «Wie bringt Ihr sie zu solchen… Fähigkeiten?»
    Er sah mich mit einer Geringschätzung an, wie man sie Schwachsinnigen zukommen lässt.
    «Das, Herr Gouverneur, ist mein Geheimnis. Ein Geheimnis, um das uns viele Höfe in Europa beneiden. Ihr könnt mir glauben!»
    «Und diese Vorliebe, dieser… Appetit, den sie insbesondere auf Indianer haben?»
    «Nichts einfacher als das. Seit ihrer Ankunft bekommen sie nur Fleisch von Wilden zu fressen. Ihr tötet so viele, dass es daran nicht fehlt!»
    Nach sechs Monaten ähnlicher Feldzüge, die alle siegreich verliefen, in denen Leoncico und seine Gefährten Wunder vollbrachten, wurde Balboa bei mir vorstellig.
    «Habt Ihr meine Arbeit geschätzt, Herr Gouverneur?»
    «Mir scheint, Ihr habt gezeigt, was Ihr könnt.»
    «Was glaubt Ihr, verdient eine solche Arbeit keine Belohnung?»
    Ich erinnerte ihn daran, wie mager die Geldmittel unserer Kolonie waren, zumal bei der Trägheit, mit welcher die Indianer Gold sammelten.
    Er schüttelte den Kopf.
    «Es geht mir nicht um Geld.»
    Er bäumte sich auf. Es sah aus, als hätte ich ihn beleidigt.
    «Ich denke an meine Kinder, meine Familie, wie jedermann. Ich habe mich um die Hunde verdient gemacht, ich war im Krieg. Mit mehr Erfolg als mancher Soldat.»
    Mit einem Schlag verstand ich:
    «Ihr wollt einen Adelstitel?»
    «Darum geht es.»
    Noch eine Schande: Ich unterstützte seine Bitte.
    Der Züchter trägt heute einen längeren Namen: Vasco Nuñez de Balboa.
    So war ich.
    So waren wir alle, blind, unmenschlich, bevor Montesinos uns die Augen
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