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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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Tage festsaßen, denen langsam der Sauerstoff ausging und die auf das
Klink-Klink
der Spitzhacken der Rettungsmannschaft warteten.
    Alex stand gegenüber vom Haupteingang auf der anderen Straßenseite. Er suchte in einem Haltestellenhäuschen Schutz vor dem Nieselregen, der unablässig auf Südlondon herabfiel und ihn überrascht hatte, als er aus der U-Bahn stieg. In Leeds hatte noch die Sonne geschienen, sogar in King’s Cross hatte es nicht nach Regen ausgesehen. Wie in einem komplett anderen Leben. Von der ganzen Fahrt hierher war Alex so wenig in Erinnerung geblieben, dass er sie sich ebenso gut eingebildet haben konnte. Er betrachtete das Gebäude durch den Regenschleier. Das Krankenhaus sah auch bei schönem Wetter trist und trostlos aus. Es war ein Block aus roten Backsteinen mit gotischen Türmchen und hier und dort einem neueren Anbau, wie ein Irrenhaus aus dem 19.   Jahrhundert mit Ergänzungen im Gesamtschulenstil der 70er-Jahre. Da das St. Dunstan an einer vielbefahrenen Hauptstraße lag, hatte ihm die Luftverschmutzung heftig zugesetzt. Die Fenster sahen aus wie Reihen von Augen, bei denen das Make-up vor lauter Weinen in langen Streifen heruntergelaufen war.
    Soweit Alex sich entsann, war er seit seiner Geburt nicht mehr hier gewesen. Im Einklang mit seiner Hässlichkeit wirkte die Fremdheit des Krankenhauses irgendwie beunruhigend.
    Ich bin hier
auf die Welt gekommen. Das muss doch etwas zu bedeuten haben. So schrecklich kann es gar nicht sein.
    Alex versuchte sich einzureden, dass er sich hier auf der anderen Straßenseite versteckte, um sich zu sammeln, sein Vorgehen noch einmal zu überdenken, und dass es nichts damit zu tun hatte, dass er unglaublich Schiss davor hatte, das Gebäude zu betreten. Er hatte sich schon eine halbe Stunde in einem Imbiss am Bahnhof Crokeham Hill herumgedrückt und allen Mut zusammennehmen müssen, um überhaupt bis zum Krankenhaus zu kommen.
    Es konnte nicht klappen. Man würde ihn garantiert aufhalten, ehe er seinen Plan auch nur ansatzweise durchführen konnte.
    Bei jedem Auto, das auf den Parkplatz einbog oder herausfuhr, bei jedem Menschen, der durch den Haupteingang hinein- oder herauskam, hielt Alex den Atem an, weil er glaubte, seine Mum oder seinen Dad oder seinen Bruder oder David zu erblicken. Auf der Webseite des St. Dunstan stand, die Intensivstation hätte keine festen Besuchszeiten, nur zu den Visiten mussten sich Angehörige und Freunde verziehen. Höchstwahrscheinlich saßen seine Eltern gerade am Bett ihres Sohnes. Oder sie tauchten jeden Augenblick hier auf. Oder gingen gerade weg, wenn er hineinging.
    Als Erstes musste er die Intensivstation finden. Dort fragen, ob es in Ordnung sei, dass er Alex Gray besuchte. Er wollte sich als Schulfreund ausgeben. Sie hätten am Ende des Schuljahres eine Sammlung durchgeführt und er sei dazu ausgewählt worden, Alex einen Blumenstrauß und eine Riesengenesungskarte mit haufenweise Unterschriften zu bringen. Ach übrigens, in welchem Zimmer liegt Alex eigentlich, ich bin ja das erste Mal hier? Und ob die Schwester wüsste, ob gerade jemand bei ihm ist, denn er will auf keinen Fall stören. Er hatte sich einen falschen Namen ausgedacht (Jack). Er hatte sich seine kleine Ansprache immer wieder vorgesagt, sich die Szene immer wieder ausgemalt, sodass ihm das Ganze schon wie eine Erinnerung vorkam, wie etwas, das bereits geschehen war.
    Nicht unbedingt eine narrensichere Strategie, aber etwas Besseres war ihm nicht eingefallen.
    Ob die Schwestern eine Beschreibung von ihm hatten? Nachdem Philip Garamond bei Alex zu Hause aufgetaucht war, hatten Mum und Dad oder auch die Polizei das Stationspersonal bestimmt vor einem großen, dunkelhaarigen jungen Mann mit nordenglischem Akzent gewarnt. Und wenn ihn die Garamonds nun bereits als vermisst gemeldet hatten, weil er an diesem Morgen weder zu Hause noch in der Schule erschienen war? Wenn sie sich sofort gedacht hatten, wohin er wollte?
    Es war albern, noch länger hier herumzulungern. Sich mit den vielen Wenns, Abers und Vielleichts verrücktzu machen, die zwischen ihm und seinem Vorhaben standen.
    Ein Bus hielt. Ein Mann stieg aus, die Türen schlossen sich zischend und der Bus fädelte sich wieder in den Verkehr ein. Das St. Dunstan tauchte wieder hinter dem Regenschleier auf. Alex setzte die Kapuze auf und überquerte die Straße, als hätte der davonfahrende Bus eine Pforte geöffnet, die er jetzt oder nie betreten musste.
    Flure, Treppen, noch mehr Flure, noch mehr
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