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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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ich nicht als Feigheit bezeichnen. Du etwa?«
    »Bist du etwa vorher schon selbst darauf gekommen?«, fragte Alex vorwurfsvoll.
    »Hätte ich vielleicht sagen sollen: ›He, Alex, warum bringst du dich nicht selber um die Ecke?‹«
    Alex war zu müde zum Streiten. Er war so erledigt von den Felsen zurückgekommen, als hätte er sie gerade eben erklommen. Er sog den aromatischen Kaffeedampf ein. Sein Lieblingsgeruch   – früher. Und jetzt, als Flip? Immer noch. »Ich stand da«, sagte er, »und ich   … ich sah vor mir, wie sie die Tür öffnen   … seine Elternund seine Schwester   … und draußen steht ein Polizist und überbringt ihnen die Nachricht von Philips Selbstmord.«
    Rob stellte seinen Becher weg, ging zu Alex und klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter.
    Alex entzog sich der Berührung. »Was ist los, Rob? Willst du mich heute Morgen nicht am Kinn packen, hä? Meinen Kopf ans Fenster donnern?«
    Rob schwieg erst, dann sagte er: »Steig ein.« Sein Ton war freundschaftlich. »Ich fahr dich nach Hause.«
    »Nach Hause?«
    »Zu Philip. Das ist das einziges Zuhause, das du noch hast.«
     
    Wie immer ließ Rob ihn an der Ecke raus. Wie immer schaute er Alex nach, der bis zur Nummer zwanzig ging und noch einmal winkte. Robs Abschiedsworte waren eine Entschuldigung und ein Versprechen gewesen. Er hatte sich für das, was in der Nacht zuvor im Bus vorgefallen war, entschuldigt und versprochen, dass er in den kommenden Wochen und Monaten und Jahren, in denen sich Alex an sein neues Leben gewöhnte, jederzeit für ihn da wäre.
    »Vielleicht können wir uns ja gegenseitig helfen. Ich helfe dir, Philip zu sein   … und du hilfst mir, Chris loszulassen.«
    Alex nickte. »Mhmm, das wär cool.«
    Sie gaben sich die Hand, irgendwas zwischen einem Händeschütteln, Armdrücken und Abklatschen, als gehörtensie zu einer Straßengang in Los Angeles. Dann ging Alex auf das Haus zu.
    Alex konnte sich durchaus vorstellen, dass es einfach so weiterging. Dass er sein Leben mit dem von Flip verschmolz. Dass er den Wechsel akzeptierte, sich anpasste und einfach weitermachte   – so wie alle anderen, denen das Gleiche zugestoßen war. Vielleicht fand er sogar einen Weg, sich wieder mit Cherry zu vertragen. Mit Alex’ Geist in Flips Körper konnte er in Litchbury bleiben, bei einer fürsorglichen Familie, und für den Notfall hatte er ja noch Rob. Er konnte seinen Abschluss an einer guten Schule machen, danach studieren und durfte sich auf ein langes, gesundes Leben freuen, vielleicht noch sechzig oder siebzig Jahre. Er konnte sein, was und wer er sein wollte.
    Aber es bedeutete auch, nicht
er selbst
zu sein. Voll und ganz er selbst zu sein. Dieses Leben würde einer Lüge gleichkommen. Er hätte sich jeden Tag und jede Stunde belügen müssen, so lange, bis Flips Körper irgendwann starb. Er musste die Garamonds anlügen. Jeden, dem er in den vielen Jahren, die noch vor ihm lagen, begegnete, jeden, mit dem er zusammenarbeitete oder mit dem er sich anfreundete. Alle, die er liebte, und alle, die »ihn« liebten.
    Er musste Cherry anlügen, falls sie wieder zusammenkamen. Und auch jedes andere Mädchen, jede Frau, der er begegnete und in die er sich womöglich verliebte. Und wen würden sie lieben? Nicht ihn. Nicht Alex oder Flip oder Philip, sondern irgendeine Mutation, eineMischform. Wenn irgendeine dieser Beziehungen etwas bedeuten sollte, dann musste die Betreffende den echten »Alex« lieben, nicht eine abartige Fälschung. Einen Betrüger. Für ihn selbst galt das Gleiche. Er wollte und musste als der echte Alex leben, körperlich und seelisch.
    Oder gar nicht.
    Darum verschwand Alex gerade so lange hinter der Haustür, dass Rob wieder in seinen Bus steigen und wegfahren konnte. Er hatte sich leise ins Haus geschlichen. Jetzt stand er in der Diele und wagte kaum zu atmen.
    Er wartete. Oben rührte sich nichts. Kein Beagle kam knurrend durch den Flur getapst, obwohl er es selbst jetzt noch halb erwartete. Dann hörte er das vertraute Räuspern des Campermotors, der ansprang und davontuckerte. Alex wartete weiter.
    Schließlich schlüpfte er wieder nach draußen und schlug den Weg zum Bahnhof ein.
    Am Rand des Abgrunds hatte er zwar vor allem festgestellt, wozu er
nicht
bereit war, um in seinen eigenen Körper zurückzukehren, doch ihm hatte sich auch eine andere Möglichkeit zur Rückkehr offenbart. Eine weniger offensichtliche, weniger Erfolg versprechende und genauso riskante. Aber eine, die er trotzdem in
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