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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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den Abgrund zu. Einer alten Sage nach, hatte Flips Vater erzählt, seien die Felsbrocken, die hier überall herumlagen, vor ewigen Zeiten von einem Riesen auf Eindringlinge geschleudert worden, die es gewagt hatten, die Hänge zu erklimmen. Inzwischen waren mehrere dieser Felsen mit Haken gespickt, die den Kletterern als Sicherung dienten. Alex zog an einem Haken, aber er saß so fest, als sei er Teil des Gesteins.
    Beim letzten Mal hatte er sich nicht so nah an den Rand der Klippe gewagt. Er spürte einen leichten Aufwind aus der Tiefe.
    Er spähte nach unten. Dreißig Meter? Vielleicht fünfunddreißig.
    Es ging nicht senkrecht nach unten, aber doch ziemlich steil, sodass man sich, wenn man hier abstürzte, mit Sicherheit am Fuße des Felsens sämtliche Knochen brechen würde. Alex überlegte, wie lange der Fall dauern mochte. Vier, fünf Sekunden wahrscheinlich. Jedenfalls kaum lang genug, um die letzten Gedanken zu Ende zu denken, ehe man sich dort unten den Schädel einschlug.
    Ob Leute hierherkamen, um sich umzubringen? Höchstwahrscheinlich. Klippen, Brücken und hohe Gebäude wirkten auf Selbstmörder wie eine Einladung.Schon wenn man einfach nur dastand und nach unten schaute, malte man sich unwillkürlich aus, wie es sein musste, wenn der Boden auf einen zugerast kam. Wahrscheinlich war es eine besondere Art von Schwindelgefühl, ein seltsam erregendes Grauen. So wie es erregend war, sich vorzustellen, dass ein Schritt genügte, um seinem Leben ein Ende zu setzen, dass der eigene Tod nur ein paar Sekunden entfernt war.
    Alex schob sich noch näher an den Abgrund heran. Jetzt stand er richtig, die Spitzen seiner Turnschuhe ragten ins Leere. Eine minimale Gewichtsverlagerung genügte, ein plötzlicher Gleichgewichtsverlust, ein Windstoß im Rücken. Er musste noch nicht mal springen, sondern sich einfach nur   … ein wenig vorbeugen.
    Würde er laut schreien, bis er unten war? Oder nur einen kurzen Aufschrei ausstoßen? Würde er im Fallen wild mit Armen und Beinen rudern? War es eher eine Art Rausch oder würde er sich vor Angst in die Hose machen?
    Würde er die Augen offen lassen?
    Alex streckte die Arme in Jesuspose aus, stellte sich auf die Fußballen, hob die Fersen an. Schloss die Augen. Es wehte kein Wind, trotzdem umfing ihn die Luft wie Seide, als hielte ihn die Luft selbst vom Fallen ab. Und ein Gedanke   – eine jähe, überwältigende Erkenntnis   – überkam ihn, als hätte er schon die ganze Zeit über nur darauf gewartet.
    Wenn er in Flips Körper starb   … was geschah dann mit seiner Seele?

23
     
    »Du hast dich nicht getraut, was?«, fragte Rob. Sein Ton war nicht unfreundlich.
    Er saß wieder unter der Heckklappe und rauchte. »Hast du mich gesehen?«, fragte Alex.
    »Ich hab gehört, wie du aus dem Bus gestiegen bist.« Rob zuckte die Achseln. »Deine Gedanken sind nicht schwer zu erraten, also bin ich dir nachgegangen.«
    »Du hast mich beobachtet und hast nichts gesagt? Du hast nicht versucht, mich daran zu hindern?«
    Rob zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch aus. »Ich wusste, dass du nicht springst. Der Sprung hätte dich nicht zum Selbstmörder gemacht«, sagte er, »sondern zum Mörder. Du hättest Flip umgebracht. Ich kenne dich noch nicht lange, Alex, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass du ihm so etwas antust.«
    Rob stieg in den Bus. Alex hörte Wasser im Kessel sieden, dann wurde es in Tassen gegossen. Er rieb sich das Gesicht. Er hatte immer noch rasendes Herzklopfen. Dabei hatte er sich, nachdem er vom Klippenrand zurückgetreten war, extra eine Weile auf einen Stein gesetzt, um wieder zu sich zu kommen.
    Rob tauchte mit zwei Bechern Kaffee wieder auf und reichte Alex einen.
    »Und? Bin ich jetzt ein Feigling«, fragte Alex.
    »Wann bist du draufgekommen?«, fragte Rob, ohne auf die Frage einzugehen.
    »Worauf?«
    »Darauf, wie man einen Wechsel auslöst.«
    Alex trank einen Schluck Kaffee. »Wenn man erst mal in diese Richtung denkt, ist es ganz offensichtlich. Echt nicht zu fassen, dass ich nicht schon früher draufgekommen bin.« Er schüttelte den Kopf. »Die einzige Gemeinsamkeit bei allen bisher bekannten psychischen Evakuationen ist der Tod.«
    »Nur nicht in deinem Fall.«
    »Stimmt.«
    »Trotzdem hast du es nicht fertiggebracht, Flip umzubringen. Obwohl du gewusst hast, dass du damit dein Leben retten oder zumindest in deinen eigenen Körper zurückkehren kannst.« Rob rauchte seine Zigarette zu Ende und schnippte die Kippe weg. »Das würde
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