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Cosm

Cosm

Titel: Cosm
Autoren: Gregory Benford
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Augen für die Bildschirme.
    »Versuch wird eingeleitet«, ertönte eine tiefe Stimme aus ihrem Kopfhörer. »Teilchenströme werden ausgerichtet.« Das hieß, der Booster hatte seine Schuldigkeit getan.
    Sie wandte sich an Zak und sagte mit aller Beherrschung, die sie aufbringen konnte: »Die Pferde sind gestartet.«
    Da RHIC ein mehrere Meilen langes Rennbahnsynchrotron war, galt es als guter Witz, die Fachbegriffe der Beschleunigertechnik in die Sprache des Rennsports zu übersetzen. Zak riß die Augen auf. »Schon aus den Boxen?«
    »Gehen eben aufs Geläuf«, meldete sie.
    Die elektronischen Anzeigen vermittelten nur wenig von der Dramatik der Ereignisse, aber im Geiste sah sie alles deutlich vor sich. Im Alternating Gradient Synchrotron wurden die Elementarteilchenpferde nun auf die Hauptbahn mit ihren Steuermagneten und den pulsierenden, elektrischen Feldern geleitet. Zuvor hatten eigens für diesen Zweck entworfene ›Stripper‹ den Uranatomen sämtliche Elektronen entrissen, so daß die Kerne mit ihren 92 geladenen Protonen den elektrischen Feldern nun schutzlos ausgeliefert waren.
    Der Strom wurde mit 57 Urankernbündeln gespeist, die wie Güterwaggons entlang der ganzen Bahn verteilt waren. Jedes Bündel enthielt eine Milliarde Kerne und umrundete die Bahn in einer Zehnmillionstel Sekunde.
    Ein zweiter, gleichstarker Bündelstrom wurde mit der gleichen Beschleunigung auf die Gegenbahn geschickt. Wenn man die beiden Ströme in Ruhe ließ, würden sie, von den elektromagnetischen Feldern behutsam in Form gehalten, den ganzen Tag lang ihre Runden drehen.
    »Jetzt laufen sie ein«, verkündete Zak.
    Die erforderliche Urankerndichte war erreicht. Nun trat das Experiment in die entscheidende Phase. Die beiden Teilchenströme wurden durch eine leichte Korrektur der Felder fokussiert und aufeinandergelenkt. Die Zählstelle schickte die ersten Bilder.
    »Treffer!« rief Alicia.
    Sie stellte sich bildlich vor, wie die beiden Urankernströme in der Ringröhre aufeinander zurasten, wie in jeder Sekunde Scharen von zigarrenförmigen Gebilden in den verschiedensten Winkeln aufeinanderprallten und zu Zehntausenden von Elementarteilchen zerschellten.
    Vor ihrem inneren Auge entstand aus unzähligen, grellbunten Blüten und hin- und herschießenden Linien ein verschnörkeltes Gewächs. Wegen der gegenläufigen Ausrichtung hatten die Kerne im System keinen Gesamtimpuls. Beim Aufeinanderprall kam es zu winzigen, aber heftigen Explosionen, die Trümmer wurden nach vorn und nach hinten im Bereich eines schmalen Kegels von der Kollisionsstelle weggeschleudert. Die kritische Zone war die Ebene senkrecht zur Bewegungsrichtung der Teilchenströme im Kollisionspunkt, hier suchte die Diagnostik nach dem Heiligen Gral: dem Quark-Gluon-Plasma.
    Jubel von den Technikern. Alicia spürte, wie ihr jemand kräftig auf den Rücken schlug. Eine Frauenstimme kreischte schrill, es war ihre eigene, aber das begriff sie erst, als die Stimme schon verstummt war.
    Knallend flog ein Korken an die geflieste Decke. Ein Techniker reichte Alicia einen Plastikbecher mit billigern Sekt. Sie grinste über das ganze Gesicht, bedankte sich bei jedem, der ihr in die Quere kam, und vergaß sofort wieder, was sie gesagt hatte. Der Sekt schmeckte abscheulich, aber das war ihr völlig egal.
    So sehr sie sich auch mit den anderen freute, ein Teil ihrer Aufmerksamkeit war ständig auf die Schirme gerichtet, wo ein ganzer Blumengarten von Vektorspuren in den Farbcodes der verschiedenen Elementarteilchen erblühte. Das war die Ernte ihrer Detektoren, über solch komplexen Bildern brütete sie, seit sie erwachsen war.
    Sie umarmte Zak und drückte ihm rasch einen Kuß auf die Wange. Jemand legte einen Schalter um, und schon schallte Brahms’ Zweite Symphonie aus der Stereoanlage. Das Detektorsystem, an dem sie arbeiteten, hieß Broad Range Hadron Measuring Spectrometer oder eben BRAHMS. Die mächtigen Akkorde dröhnten ihr in den Ohren, aber sie bat nicht darum, die Musik leiserzustellen.
    Und immer neue Blumen erblühten.
    Sie schaffte es, sich Sekt über den klassischen, weißen Labormantel zu kippen, den sie, wie um sich selbst zu parodieren, über ihre Jeans und die spießige Bluse mit den Ölflecken gezogen hatte. An der Brusttasche hing ein Strahlendosimeter, obwohl sie sich – ein zusammenhangloser Gedanke – mit dem Ding immer etwas albern vorgekommen war. Sollte sie durch irgendeinen unwahrscheinlichen Zufall in den Teilchenstrahl geraten, dann konnte
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