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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11
Autoren: Guillou
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und las sie in meiner Zelle in einem Rutsch.
    Zunächst einmal handelte es sich um gute Literatur; um unprätentiösen, sozialkritischen Realismus. Zweitens hatten die Texte einen amerikanischen Klang; die Form schien direkt von der zeitgenössischen amerikanischen Literatur übernommen zu sein.
    Und drittens, meine entscheidende Entdeckung, hatten Maj und Per einen simplen formalen Kniff angewendet, sie hatten das amerikanische Vorbild einfach auf den Kopf gestellt. Dirty Harry und ähnliche Inspektoren aus dieser Zeit standen immer für einen hart gesottenen, politisch eher rechts stehenden Außenseiter, der Liberale ebenso verabscheute wie Gesetze und Dienstvorschriften.
    Maj und Per hatten das Gegenteil gemacht. Ihre Kriminalkommissare waren Sozialdemokraten, möglicherweise sogar lin­ke Sozialdemokraten, und das funktionierte ausgezeichnet. Der Trick bestand darin, dass sie ihre Sympathie für Schwedens Linkspartei, die VPK, in die Form eines amerikanischen Kriminalromans verpackten.
    Ich zog daraus den Schluss, dass man sich auch den extrem reaktionären angelsächsischen Spionagethriller (James Bond ist eng verwandt mit Dirty Harry) zum Vorbild nehmen und ihn so verändern konnte wie Maj und Per.
    Mir wurde klar, dass ich dies nicht nur tun konnte, sondern auch sollte. Schließlich saß ich im Gefängnis, weil ich zu viel über die schwedischen Sicherheits- und Nachrichtendienste herausgefunden und meine Kenntnisse veröffentlicht hatte. Nach jahrelanger Beschäftigung mit diesem Thema hatte ich Unmengen von Material übrig, die ich journalistisch nicht verwerten konnte. Zum einen konnte ich vieles von dem, was ich wusste oder zu wissen glaubte, nicht beweisen. Manches konnte ich mir zusammenreimen, aber von journalistischem Nutzen waren beide nicht. Was ein Journalist schreibt, muss natürlich im rein faktischen Sinne wahr sein; was ein Schriftsteller schreibt, unterliegt nicht denselben Beschränkungen.
    Und weil die Aktivitäten von Sicherheits- und Nachrichtendiensten viel mehr mit Politik und Macht zu tun haben als normale Polizeiarbeit, müssten Spionagethriller sich als Spiegel unserer Zeit noch besser eignen als Kriminalromane.
    Maj und Per hatten ihre Krimis aus der Froschperspektive geschrieben. Das passte perfekt zu ihrem linken Standpunkt. Aber Spionagethriller müssen aus einem vollkommen anderen Blickwinkel erzählt werden, der Perspektive des Adlers, der von den Höhen der Macht auf die nur schemenhaft zu erkennenden Bürger hinabblickt. Ohne Zweifel gefiel mir persönlich dieser Blickwinkel viel besser als die Grundhaltung von Maj und Per, die von der Solidarität mit den einfachen Leuten geprägt war.
    Mit der Rolle des Helden brauchte ich mich nicht lange aufzuhalten. Der Antiheld war in der Literatur bereits weiter verbrei­tet als der klassische Held. Alle Kommissare klagten über Ma­genschmerzen, tranken zu viel, ernährten sich schlecht, waren in ihren Ehen gescheitert und hatten Töchter, die sie nicht verstanden. Damals glaubte ich, dieser Typus des Antihelden habe ausgedient. Natürlich lag ich mit dieser Einschätzung vollkommen daneben, denn die große Zeit des Inspektor Wallander sollte erst noch kommen.
    Aber ein Spion, der ein Antiheld gewesen wäre, hätte ein Schreibtischtäter mit geregelten Arbeitszeiten sein müssen, der Geheimnisse und politische Intrigen über seinen Tisch wandern sah, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. Ein Nachrichtenoffizier im Außendienst konnte leichter von einem Hand­lungselement zum nächsten geführt werden und hatte ein viel spannenderes Berufsleben als der Antiheld hinter seinem Schreibtisch.
    Dass mein Agent später den Namen Hamilton bekam, hatte mit einem gewissen Grafen Oxenstierna zu tun. Dieser Graf war Teil der linken Studentenbewegung und hatte sich selbst in einer politischen Diskussion als »Genosse Oxenstierna« bezeichnet. Diese Kombination war extrem attraktiv. Nur zwei Worte, die sowohl den Flügelschlag der Geschichte als auch einen frappierenden Gegensatz zwischen Rechts und Links beinhalteten. So sollte mein Held zunächst Oxenstierna heißen, doch dann überzeugte mich ein Blick ins Adelsverzeichnis davon, dass viel zu wenige Personen diesen Namen mit dem historischen Klang trugen. Außerdem machte mich ein Freund darauf aufmerksam, dass Hamilton im Adelsstand ein Allerweltsname wie Meyer oder Müller war. Nun musste der Name nur noch neu zusammengesetzt werden, und so wurde Carl Gustaf Gilbert Hamilton erfunden,
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