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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Autoren: Elisabeth Florin
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Auf dem Tisch stand eine leere Cognacflasche, damit hatte er seine Angst betäubt.
    Die Polizei fand nie heraus, wer der Erpresser war. Aber er hatte bei Helmut kaltblütig die richtigen Knöpfe gedrückt. Vermutlich hatte er nicht nur damit gedroht, sie zu informieren, sondern auch den Ausschuss.
    Das alles war nun ein Jahr her. An keinem Ort war sie seitdem häufiger gewesen als an Helmuts Grab. Doch das Gefühl von Trauer und Verzweiflung, aber auch der unbändige, gefräßige Hass auf den Erpresser wurden nicht schwächer. Sie spürte es jeden Tag wie am ersten.
    Langsam ging sie den Weg zurück, vorbei an den anderen Gräbern, in denen andere Menschen mit anderen Schicksalen lagen. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Als sie aus dem Wald auf den Parkplatz trat, blies ihr eine kalte Windböe aus Nordwesten entgegen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Regen kam.

1
    Südtirol, Ahrntal, Samstag, 6. Juni 2009
    Obwohl Vincenzo Bellini es besser wusste, konnte er nicht anders. Immer wieder musste er hinunterblicken in die scheinbar unendliche Tiefe. In manchen Momenten spürte er überdeutlich das Verlangen, einfach nur loszulassen, angezogen von ihrem mächtigen, unentrinnbaren Sog.
    Er war in aller Frühe aufgestanden, hatte seinen Rucksack gepackt und war losgefahren. Allein von Bozen bis nach Sankt Johann hatte er mit seinem Alfa eine gute Stunde gebraucht, zum Glück brach das Verkehrschaos im Pustertal erst viel später aus. Gegen sechs hatte er seine Tour begonnen. Am Anfang war der Weg technisch anspruchslos, aber lang und steil. Über das kleine Sträßchen bis zum Stalliler, dann weiter über den Hauptwanderweg mit der Nummer 23. Allein auf diesem Stück hatte er über sechzehnhundert Höhenmeter überwunden. Ihm war bewusst, dass das schon eine beachtliche konditionelle Leistung war. Zumal er mehr als zehn Kilogramm auf dem Rücken trug.
    Das Schwierigste lag zu diesem Zeitpunkt aber noch vor ihm. Gegen zehn war er in den Klettersteig eingestiegen, um zwölf waren sie auf der Schwarzensteinhütte verabredet. Seit seiner Kindheit war er zu jeder Jahreszeit in den Bergen. Er liebte sie, sie waren seine Heimat. Aber fürs Klettern hatte er sich nie erwärmen können. Bis er Hans kennenlernte.
    Hans Valentin war Bergführer und Inhaber einer Alpinschule in Sand in Taufers. Er war Anfang fünfzig und hatte im Laufe seiner Bergsteigerkarriere die meisten Achttausender bestiegen, einige zusammen mit Reinhold Messner. Die Berge und die Herausforderungen des Extremkletterns waren sein Leben. Selbst vor den brutalsten Touren, die für gewöhnliche Bergsteiger unerreichbar waren, schreckte er nicht zurück. Er hatte das Matterhorn innerhalb von nur vierundzwanzig Stunden viermal bestiegen, jedes Mal auf einer anderen Route. Je mehr er Hans zugehört hatte, umso mehr wollte er ihm nacheifern, hinauf in schwindelerregende Höhen, auf immer schwierigeren Routen. Auf einmal hatte ihn der Ehrgeiz gepackt.
    Und was hatte er jetzt davon? Mutterseelenallein hing er in dieser verdammten Wand. Blanker Fels, so weit das Auge reichte. Als er am Fuß des Steigs die Klettersteigausrüstung angelegt hatte und nach oben schaute, hatte er sich nicht vorstellen können, diese Wand jemals zu durchqueren. Trotzdem war er losgegangen. Er wollte sich vor Hans keine Blöße geben. Zunächst kam er noch problemlos voran. In den Wandeinstieg war eine kleine Spur gesprengt, es gab jede Menge Sicherungen. Doch bald kam er ohne schwindelerregende Kletterei nicht mehr weiter.
    Dazu diese schwüle Hitze, unter der das Land seit Tagen litt. Er befand sich in einer Westwand, daher war es in den Vormittagsstunden wenigstens noch schattig. Aber allmählich kroch die Sonne um den Berg herum und schien mitten in den Steig. Obschon auf über zweitausend Metern Höhe, wurde es unerträglich warm. Kein Lüftchen regte sich, die helle Felswand reflektierte das Sonnenlicht zusätzlich. Er kam sich vor wie in einem Brutofen.
    Er zwang sich, nicht mehr nach unten zu schauen, löste den ersten der beiden Karabinerhaken. Während er sich mit der rechten Hand krampfhaft an der Öse festklammerte, durch die das Drahtseil gelegt war, führte er mit der anderen den Haken vorsichtig an der Öse vorbei. Er konnte nur auf den Zehenspitzen stehen, denn die Wand bot kaum noch natürliche Tritte und Griffe. Endlich gelang es ihm, den Karabinerhaken wieder einzuklinken. Er wiederholte die Prozedur mit dem zweiten Haken. Das war das
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