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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Autoren: Andrea Camilleri
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Zeigefinger der rechten Hand die Sesamkörner, die von der Kruste abgefallen waren, auf die Tischdecke drückte, bis sie am Finger klebten, und dann in den Mund steckte. Das Schöne am Sesambrotessen besteht hauptsächlich in diesem Ritual.
    Rechts neben der Veranda wuchs an der Mauer ein Wildstrauch, der im Lauf der Zeit dicht und breit und so hoch wie ein auf der Bank sitzender Mensch geworden war.
    Livia sagte immer, man sollte ihn entfernen, aber das wäre mittlerweile ziemlich schwierig gewesen, die Wurzeln waren sicher längst dick und lang wie bei einem Baum.
    Montalbano kam nie dahinter, warum es ihn plötzlich drängte, sich den Strauch näher anzuschauen. Er brauchte nur den Kopf ein wenig nach rechts zu drehen, und schon hatte er den ganzen Strauch im Blick. Das Gebüsch erwachte gerade zu neuem Leben, hier und da zeigte sich erstes Grün in dem welken Geäst. Ziemlich weit oben glitzerte zwischen zwei dünnen Zweigen silbrig ein Spinnennetz.
    Montalbano war sich sicher, dass es tags zuvor noch nicht da gewesen war, Livia hätte es sonst bestimmt bemerkt und, da sie sich vor Spinnen fürchtete, mit dem Besen zerstört. Es musste während der Nacht entstanden sein.
    Der Commissario stand auf und beugte sich über das Geländer, um das Spinnennetz aus der Nähe zu betrachten. Es war eine verblüffende geometrische Konstruktion.
    Fasziniert zählte der Commissario dreißig Fäden, angeordnet in konzentrischen Kreisen, die nach innen hin kleiner wurden. Der Abstand zwischen den Fäden war immer gleich, erst in der Mitte nahm er erheblich zu. Gehalten und gegliedert wurde die Struktur der Fadenkreise von Speichenfäden, die von der Mitte bis zum äußersten Faden des Spinnennetzes reichten.
    Montalbano schätzte, dass die etwa zwanzig Speichenfäden jeweils gleich weit voneinander entfernt waren. Alle Fäden liefen in der Mitte des Spinnennetzes zusammen, wo sie von einem andersartigen, spiralförmigen Faden zusammengehalten wurden.
    Was musste die Spinne für eine Geduld gehabt haben! Denn sie hatte bestimmt so manche Schwierigkeit zu bewältigen gehabt, einen Windstoß, der das Gewebe zerriss, ein Tier, das im Vorübergehen einen Zweig bewegte … Aber die Spinne hatte sich in ihrer nächtlichen Arbeit nicht beirren lassen, fest entschlossen, ihr Netz um jeden Preis zu weben, eigensinnig, blind und taub gegenüber jedem anderen Reiz.
    Wo war die Spinne eigentlich? Der Commissario sah angestrengt hin, konnte sie aber nirgends entdecken. War sie schon fort, hatte alles stehen und liegen lassen? Hatte ein anderes Tier sie gefressen? Oder saß sie mit ihren acht diademartig angeordneten Augen und ihren acht Beinen, mit denen sie jederzeit losschießen konnte, unter einem gelben Blatt und beobachtete aus ihrem Versteck heraus alles äußerst aufmerksam?
    Plötzlich fing das Spinnennetz an zu vibrieren, ganz sachte zu zittern. Aber es war kein Windhauch gewesen, denn die Blätter in der nächsten Umgebung, selbst die zartesten, bewegten sich nicht. Nein, es war eine künstlich hervorgerufene, absichtliche Bewegung. Aber von wem, wenn nicht von der Spinne selbst? Offenbar wollte die unsichtbare Spinne, dass ihr Netz für etwas anderes gehalten wurde, für einen Schleier aus Raureif, für Wasserdampf, und versetzte das Netz mit ihren Beinen in Schwingung.
    Eine Falle.
    Montalbano drehte sich zum Tisch um, nahm ein kleines Stückchen vom weichen Innern des Brotes, zerzupfte es und warf die winzigen Fetzchen auf das Spinnennetz. Sie waren zu leicht und verloren sich im Flug, nur eines landete im Spiralfaden in der Mitte, blieb aber nur für den Bruchteil einer Sekunde hängen, es war dort und gleich wieder weg, ein grauer Punkt war vom oberen Rand des Spinnennetzes, der hinter ein paar Blättern verborgen war, losgeschossen, hatte sich den Brotkrümel einverleibt und war wieder verschwunden. Der Commissario hatte die Bewegung mehr geahnt als wirklich gesehen. Er staunte über die Schnelligkeit, mit der sich der graue Punkt bewegt hatte, und wollte die Spinne weiter beobachten. Er knetete ein neues Brotstück zu einem etwas größeren Kügelchen und warf es mitten in das Spinnennetz, das in Schwingung geriet. Der graue Punkt schoss wieder in die Mitte, bedeckte das Brotkügelchen mit seinem Leib, kehrte aber nicht in sein Versteck zurück. Er verharrte reglos, weithin sichtbar, inmitten seiner wundervollen luftigen Geometrie. Montalbano kam es vor, als sehe ihn die Spinne triumphierend an.
    Und mit einem Mal änderte
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