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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Autoren: Andrea Camilleri
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das Spinnenköpfchen mit alptraumhafter Langsamkeit, wie in einer nicht endenden filmischen Auf- und Abblende, Farbe und Form, es wechselte von Grau zu Rosa, verwandelte die Härchen in Haare, verschmolz die acht Augen zu einem Augenpaar, bis es sich als winziger Menschenkopf präsentierte, der zufrieden lächelnd auf seiner Beute saß.
    Montalbano erstarrte. Erlebte er einen Alptraum, oder hatte er versehentlich zu viel Wein getrunken? Da fiel ihm aus Schulzeiten plötzlich die Stelle bei Ovid ein, wo Athene die Weberin Arachne in eine Spinne verwandelt … War es möglich, dass die Zeit zurückgeflossen war, bis in die dunkle Nacht der Mythen? Montalbano war schwindlig, der Kopf drehte sich ihm. Gottlob dauerte der ungeheuerliche Anblick nur ganz kurz, das Bild verschwamm gleich wieder und verwandelte sich zurück. Doch bevor die Spinne wieder eine Spinne war, bevor sie wieder zwischen den Blättern verschwand, hatte Montalbano das Gesicht erkannt. Nein, das war nicht Arachnes Gesicht, das wusste er bestimmt.
    Montalbano konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und setzte sich auf die Bank, ein ganzes Glas Wein musste er trinken, um wieder ein wenig zu Kräften zu kommen.
    Er dachte, dass auch die andere Spinne, deren Gesicht er für einen Augenblick schemenhaft gesehen hatte, nachts auf die Idee gekommen war, ein gigantisches Spinnennetz zu weben, in einer der zahllosen Nächte der Angst, der Qual, der Wut.
    Geduldig, beharrlich, zielstrebig hatte sie ihr Netz gewoben, ohne sich durch irgendetwas abschrecken zu lassen. Ein Wunder der Geometrie, ein Meisterwerk der Logik.
    Und doch musste irgendwo in dieser Konstruktion ein winzig kleiner Fehler stecken, ein kaum sichtbarer wunder Punkt.
    Er stand auf, ging ins Haus und suchte eine Lupe, die er irgendwo verlegt hatte. Seit Sherlock Holmes ist ein Polizist nur dann ein richtiger Polizist, wenn er eine Lupe griffbereit hat.
    Montalbano zog Schubladen und Schublädchen auf, wühlte alles durcheinander, fand den Brief eines Freundes, den er sechs Monate zuvor bekommen und noch nicht geöffnet hatte, machte ihn auf, las, dass sein Freund Gaspano Großvater geworden war (Du grüne Neune! Waren er und Gaspano nicht gleich alt?), suchte weiter und gab irgendwann auf, weil es zwecklos war. Demnach war er wohl kein richtiger Polizist. Elementar, mein lieber Watson, elementar.
    Montalbano kehrte auf die Veranda zurück und beugte sich mit dem Oberkörper über das Geländer, bis seine Nase fast die Mitte des Spinnennetzes berührte. Er rückte etwas ab, denn er fürchtete, die Spinne könnte ihn für eine Beute halten und blitzschnell zubeißen. Konzentriert starrte er auf das Netz, bis seine Augen tränten. Das Spinnennetz schien zwar geometrisch perfekt, war es in Wirklichkeit aber nicht. An drei oder vier Stellen war der Abstand von Faden zu Faden ungleich, und zwei Fäden verliefen über winzige Strecken sogar zickzack.
    Montalbano lächelte beruhigt. Und dann wurde aus dem Lächeln ein Lachen. Das Spinnennetz! Kaum ein Klischee wurde öfter bemüht, um finsteres Pläneschmieden zu beschreiben. Nie wäre es ihm über die Lippen gekommen.
    Und jetzt rächte sich das Klischee für die Verachtung, indem es vor Montalbanos Augen Gestalt annahm und ihn zwang, es ernst zu nehmen.

Sechzehn
    Zwei Stunden später fuhr er auf der Straße in Richtung Gallotta, die Augen weit geöffnet, weil er sich nicht erinnern konnte, wo er abbiegen musste. Und dann sah er rechts den Baum mit dem angenagelten Brett, auf dem in roter Farbe »Frische Eier« stand.
    Der Feldweg führte nirgendwo anders hin als zu dem kleinen weißen Bauernhaus, das er schon kannte. Dort endete er. Montalbano sah schon von weitem, dass vor dem Haus ein Auto parkte. Er fuhr den ansteigenden Weg hinauf, hielt neben dem Auto und stieg aus.
    Die Haustür war verschlossen, vielleicht war die junge Frau mit einem Kunden beschäftigt, der anderes im Sinn hatte, als Eier zu kaufen.
    Er klingelte nicht, sondern beschloss, eine Weile zu warten, und rauchte, ans Auto gelehnt, eine Zigarette. Als er die Kippe auf den Boden warf, kam es ihm vor, als sei hinter dem kleinen vergitterten Fenster neben dem Eingang, das bei geschlossener Haustür für frische Luft im Zimmer sorgte, etwas aufgetaucht und wieder verschwunden, ein Gesicht vielleicht. Dann ging die Tür auf, und heraus kam, paprikarot vor Scham, ein eleganter, feister Fünfzigjähriger mit Goldrandbrille. In der Hand hatte er sein Alibi: einen Karton Eier. Er
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