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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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verbuchen konnte, brachten die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit dem immer noch regierenden FLN und seinem korrupten Beamtenapparat erneut zum Ausdruck.
    In der Folge wurde Präsident Chadli Benjedid am 11. Jänner 1992 von der Armee zum Rücktritt gezwungen und der zweite Wahldurchgang annulliert. Neben den Oktoberaufständen des Jahres 1988 markiert dieses Datum einen weiteren Schritt hin zu jener bewaffneten Auseinandersetzung, die bis heute andauert.
    Nach der Übernahme der Macht durch das algerische Militär wurde ein Haut Comite d’Etat (Hohes Staatskomitee) eingesetzt, um die Staatsgeschäfte zu lenken. Mit Mohamed Boudiaf trat ein ehemaliger Befreiungskämpfer im Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialmacht und historischer Führer des FLN an die Spitze dieses Komitees, um die dringend notwendigen Reformen im Land einzuleiten. Die Ermordung von Mohamed Boudiaf am 29. Juni 1992 in Annaba durch ein Mitglied des Sicherheitsdienstes stürzte das Land endgültig ins Chaos und bildet somit die letzte Etappe auf dem Weg Algeriens in den Bürgerkrieg.
    In den Sommermonaten des Jahres 1992 erschütterte eine erste Welle von Terroranschlägen das Land, die in einen bewaffneten Kampf zwischen verschiedenen militanten Gruppierungen der Fundamentalisten und der Armee mündeten. Unter General Liamine Zeroual, der 1994 zum Staatspräsidenten ernannt wurde, erreichten der blindwütende Terror und die Kämpfe zwischen den Fundamentalisten und den Militärs einen weiteren traurigen Höhepunkt. Mit seinem Aufruf zur nationalen Aussöhnung und der Begnadigung Tausender inhaftierter Fundamentalisten ließ der im April 1999 neu gewählte Staatschef Abdelaziz Bouteflika Hoffnung auf eine Aussöhnung aufkommen. Die Terroranschläge in der ersten Hälfte des Jahres 2001 machten diese Hoffnungen aber weitgehend zunichte.
    Die Tatsache, daß sich die Fronten zwischen der algerischen Regierung und den Militärs auf der einen Seite und den fundamentalistischen Gruppierungen auf der anderen Seite im Laufe des Konflikts mehr und mehr verwischt haben und es sich auch nicht um einen »klassischen« Bürgerkrieg handelt, in dem sich zwei Interessensgruppen oder deren organisierte Armeen gegenüberstehen, macht eine Einschätzung der Situation sehr schwierig. Wie bei vielen innerstaatlichen Auseinandersetzungen sind auch in diesen verworrenen Krieg zwischen den algerischen Militärs und den Fundamentalisten zahlreiche andere Konflikte verwoben, ohne deren Kenntnis eine umfassende Beurteilung der Lage unmöglich ist und die die Gesamtsituation noch undurchsichtiger erscheinen lassen: So spielen bei den kriegerischen Auseinandersetzungen Machtkämpfe unterschiedlicher Clans eine wesentliche Rolle; weiters wird der Krieg maßgeblich von wirtschaftlichen Interessen mitbestimmt, vor allem von jenen der großen Konzerne, die die Erdölförderung im Süden des Landes kontrollieren; schließlich spiegelt sich im Konflikt auch die lange Geschichte eines Landes, die von Gewalt gekennzeichnet ist.
    Hinzu kommt, daß sich in Algerien im Verlauf vieler Jahre eine mächtige Finanzmafia durch Korruption und Gewinne im Erdölgeschäft ein regelrechtes Imperium aufbauen konnte und bis heute ihren Einfluß und ihre Macht auf höchster politischer Ebene geltend macht. Ihre Angehörigen sind die wahren Regenten des Landes, und sie nehmen auch innerhalb des Konflikts eine einflußreiche Position ein. Die blutigen Kämpfe haben all diese Probleme nach und nach ans Licht gebracht. Dennoch bleiben die Interessen, die in den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen verfolgt werden, weitgehend undurchschaubar. Das grausame Morden entbehrt jeder Logik, und es bleibt unmöglich, den wahren Grund für das Blutvergießen festzumachen. Wie bei jedem Konflikt profitieren einige wenige von den Auseinandersetzungen; die Vermutung dürfte stimmen, daß vor allem sie es sind, die den Krieg, in dem es längst nicht mehr um konkrete Inhalte geht, aus skrupelloser Profitgier in Gang halten. Darüberhinaus hat der Konflikt mittlerweile eine große Eigendynamik entwickelt, die es noch schwieriger macht, dem Grauen ein Ende zu bereiten.
    Die »Undurchsichtigkeit« des Konflikts wird durch seine »Unsichtbarkeit« verstärkt, wie der bekannte Historiker und renommierte Algerienspezialist Benjamin Stora in seinem jüngst erschienen Buch La guerre invisible. Algerie, annees 90 (Paris 2001) verdeutlicht. Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen
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